■ Tour d'Europe: Schwerfälliger Moloch
Die Europäische Union kann nicht so weitermachen wie bisher, darüber sind sich alle Regierungen einig. Sie ist zerstritten, bürgerfern und unbeliebt. Obwohl ständig mehr Entscheidungen nach Brüssel verlagert werden, haben es die Regierungen versäumt, die EU demokratischer und transparenter zu gestalten. Darüber hinaus sind ihre Institutionen mit der steigenden Zahl der Mitgliedsländer immer schwerfälliger geworden. Weitere elf Staaten drängen in den Club, von Estland bis Ungarn, von Slowenien bis Zypern. Doch schon heute sind die 15 Regierungen bei wichtigen Fragen nicht mehr entscheidungsfähig.
Vor vier Jahren haben die Regierungen den Weg in die Währungsunion festgelegt. Um überhaupt zu einer Einigung zu kommen, klammerte man alle wichtigen Fragen der politischen Zusammenarbeit aus und verschob sie auf die Regierungskonferenz von 1996. Von einer politischen Union ist die EU weit entfernt. Innen- und Außenpolitik beherrscht nach wie vor das Prinzip der Einstimmigkeit. Selbst wenn sich 14 Länder einig sind, etwa über die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes für Europol, kann ein einziges Land die Entscheidung blockieren. Das Parlament hat dabei nichts zu sagen. Nur bei ausgewählten Fragen des Binnenmarktes dürfen die direkt vom Volk gewählten Abgeordneten mitreden.
Im Ministerrat, wo alle wichtigen Gesetze beschlossen werden, sitzen die Vertreter der 15 Regierungen, von ihren nationalen Parlamenten eigentlich dazu bestimmt, Gesetze auszuführen. Doch auf dem Weg nach Brüssel verwandeln sich die Minister von der ausführenden zur gesetzgebenden Gewalt. Was in jedem nationalen Parlament öffentlich diskutiert würde, handelt man in Brüssel hinter verschlossenen Türen aus, nach dem Prinzip: Gibst du beim Tierschutz nach, stimme ich der Senkung der Getreidepreise zu.
Wenn die Europäische Union für die künftigen Aufgaben gerüstet sein will, dann müssen neue Spielregeln aufgestellt werden. Dafür die Regierungskonferenz. Sachprobleme, wie die aus dem Ruder gelaufene Agrarpolitik oder die Aufnahme neuer Mitglieder, werden nur eine Nebenrolle spielen. Sie können ohnehin erst gelöst werden, wenn die EU wieder entscheidungsfähig ist.
Im Grunde sind die Lösungen bekannt: Im Ministerrat muß das Vetorecht generell zugunsten von Mehrheitsentscheidungen aufgehoben werden, damit die EU wieder handlungsfähig wird. Und das Europäische Parlament muß in allen Fragen mitreden dürfen, um die demokratische Legitimation und dadurch die Akzeptanz in der Bevölkerung zu stärken. Das Problem ist nur, daß für diese Änderungen noch die alten Abstimmungsregeln gelten. Die britische Regierung, und vermutlich noch ein paar andere Regierungen, die ebenfalls nicht auf ihr Vetorecht verzichten wollen, können das ganze Vorhaben blockieren.Abe
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen