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Polizeistaat ohne Staatsstreich

Im mexikanischen Guerrero wurden in knapp drei Wochen 36 Menschen ermordet. Darin verwickelt: die herrschende Politclique  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Die Medien sind an allem schuld – meint jedenfalls Rubén Figueroa, seines Zeichens Gouverneur des mexikanischen Bundesstaates Guerrero. Als Opfer einer „politischen Lynchkampagne“ fühlt sich der Landesvater der Drei-Millionen-Provinz im Süden Mexikos, die in letzter Zeit so blutige Schlagzeilen gemacht hat. Angefangen hatte es am 28. Juni: 17 Bauern, größtenteils Angehörige der unabhängigen Campesino-Organisation OCSS, wurden an diesem Tag zu Opfern einer Schießerei in den Bergen von Guerrero.

Zwei Hundertschaften motorisierte Polizisten hatten den Aktivisten, die sich auf dem Weg zu einer Protestdemonstration befanden, offenbar schon seit dem Morgengrauen aufgelauert. Wie Überlebende übereinstimmend berichten, eröffneten die Uniformierten aus einem Hinterhalt das Feuer auf die Unbewaffneten. Einigen der Schwerverletzten sei mit den Worten „Das habt ihr nun davon, ihr Krawallbrüder!“ der Gnadenschuß verpaßt worden. Nachträglich habe man den Toten dann, so die Aussage eines Augenzeugen, Waffen in die Hände gelegt, um sie „wie Drogenhändler oder Zapatisten aussehen zu lassen“. Weitere 20 Bauern wurden bei dem Überfall verletzt, 40 gelten bis heute als „verschwunden“.

Dagegen die offizielle Version: Die „schwerbewaffneten Bauern“ hätten die Polizei während einer „Routinedurchsuchung“ angegriffen, diese habe daraufhin „in Notwehr“ zurückgeschossen. Das aber glauben inzwischen wohl nicht mal mehr die Untersuchungsbehörden – zehn Polizeibeamte sollen sich jetzt vor Gericht für das Massaker verantworten.

Als Auftraggeber der Massenhinrichtung aber kommt für Oppositionelle wie den Chef der linken PRD-Partei in Guerrero, Saúl López Sollano, nur die regierende „Figueroa-Clique“ in Frage. Immerhin waren, so steht es im vorläufigen Bericht des Nationalen Menschenrechtswerkes, die obersten Chefs der Landespolizei an der Exekution beteiligt. Und deshalb, so fordert López Sollano, gehöre das Massaker auch vor das Bundesgericht.

Die Bundesstaatsanwaltschaft aber, die in Chiapas immerhin die Haftbefehle auf die Zapatistenführer ausgestellt hatte, erklärte sich diesmal flugs für „nicht zuständig“ im Fall Guerrero. Schließlich könne sich die Bundesbehörde „nicht um alle Angelegenheiten“ in der Republik kümmern, meint Generalbundesstaatsanwalt Lozano. Dabei glaubt nicht nur der OCSS-Führer Benigno Martinez, nach dem jetzt polizeilich gefahndet wird, sondern auch renommierte Intellektuelle wie Carlos Montemayor an eine „von langer Hand vorbereitete Operation“. Und auch PRD-Senator Félix Salgado ist überzeugt davon, „daß im Bundesstaat Todesschwadrone existieren, die unter dem Schutz der Regierung agieren und von lokalen Kaziken bezahlt werden.“

Schon lange gilt die Provinz, neben Chiapas und Oaxaca ein weiteres Armenhaus der Republik, als eines der gewalttätigsten Gefilde Mexikos. Nach einer Statistik der Landesgesundheitsbehörde sind in den letzten fünf Jahren mehr als ein Fünftel aller Todesfälle in Guerrero auf Gewalteinwirkung zurückzuführen, dicht gefolgt von den 17 Prozent, die den eigentlich heilbaren Armutskrankheiten zum Opfer fielen. Gleichzeitig agiert hier seit Jahrzehnten eine der bestorganisierten Bauern- und Indianerbewegungen im Lande, die in den siebziger Jahren in die beiden wichtigsten Guerillagruppen – angeführt von Genaro Vazquez Rojas und dem Lehrer Lucio Cabañas – einmündeten.

Während damals noch der Vater, Rubén Figueroa Figueroa, für die Eliminierung der legendären Cabañas-Guerilla verantwortlich war, ist es heute der Sohn, der die Geschichte der Repression fortschreibt. Auf dessen Konto gehen, so ein Bericht des Menschenrechtszentrums Miguel Agustin Pro Juárez, in seiner knapp zweijährigen Amtszeit schon 115 politische Morde.

Und die Gewaltspirale dreht sich weiter. Nur wenige Tage nach dem ersten Massenmord wurden Anfang Juli zwölf Angehörige einer Bauernfamilie, darunter vier Kinder, von einer bewaffneten Bande erschossen. Diese hatten sich laut der Aussage des einzigen Überlebenden zuvor „als Polizeibeamte ausgegeben“. Für die Behörden ist auch dieser Fall sonnenklar: Es handele sich um eine „Familienfehde“. Die „Pistoleros“ seien inzwischen sogar identifiziert, leider aber noch nicht gefaßt worden.

Drei weitere Campesinos wurden am vergangenen Sonntag umgebracht. Zwei von ihnen sind Mitbegründer der OCSS und wurden – wieder in Coyuca de Benitez – nach Aussagen der OCSS von den paramilitärischen Gruppen erschossen, die der Figueroa-Gruppe zugerechnet werden. Kurz zuvor hatten sie an einer OCSS-Versammlung teilgenommen, auf der ein Dialogangebot der Regierung abgelehnt und eine weitere Anti- Figueroa-Demonstration vorbereitet wurde. Das dritte Opfer, ein PRD-Mitglied, wurde nach Aussagen der PRD-Ortsgruppe von einem lokalen PRI-Kaziken erschossen. Zusammen mit den fünf Polizisten, die am 7. Juli einem weiteren mysteriösen Hinterhalt zum Opfer gefallen sind, steigt der Toten-Saldo in Guerrero auf 36 – in knapp drei Wochen.

Während die Krisenadministration der Zentralregierung bei vielen derzeit den Eindruck eines heillosen Chaos erweckt, befürchtet der Politologe Octavio Rodriguez Araujo eine durchaus konzertierte Strategie. „Es scheint, als wolle man einen militarisierten Polizeistaat durchsetzen“, schreibt er in der Tageszeitung La Jornada, „ohne dafür einen Staatsstreich zu benötigen.“

Tatsächlich zeichnet sich eine neue repressive Linie ab: Von der Februar-Offensive gegen die Zapatisten-Guerilla bis zum neuen Anti-Aufstandsgesetz in der Hauptstadt.

Der umstrittene Gesetzesentwurf ermöglicht erstmals die Vorbeugehaft von „Verdächtigen“ – und wird von Rechtsexperten als eine Art „Ermächtigungsgesetz für die Polizei“ eingeschätzt.

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