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„Nicht der leiseste Verdacht von Unschuld“

■ Auch die Nebenkläger fordern im Solinger Mordprozeß Höchststrafen / Durmus Genç: „Im Prozeß wurde unser Ansehen mehrmals mit Füßen getreten“

Düsseldorf (taz) – „In diesem Verfahren wurde mehrfach Personen die Gelegenheit gegeben, unser Ansehen noch mehr mit Schmutz zu bewerfen und mit Füßen zu treten, als es bereits in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.“ Verbitterte Worte, die Durmus Genç, gestern im Prozeß um den Brandanschlag von Solingen aussprach. Namentich nannte Genç, der in der Brandnacht am Pfingstwochenende 1993 zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verlor, eine Mitarbeiterin der evangelischen Kirche, die als Zeugin im Gericht von Gerüchten erzählte, die Familie Genç habe ihr Haus selbst angezündet. Diese in Solingen kursierende Behauptung gehört zu einer ganzen Kette von niederträchtigen Verleumdungen, derer sich die Familie seit dem Mordanschlag erwehren muß.

Durch das Verlesen einer gefälschten eidesstattlichen Erklärung, mit der insbesondere sein Sohn Kamir schwerster Straftaten beschuldigt worden war, habe zudem der Vorsitzende des Düsseldorfer Strafsenats, Wolfgang Steffen, selbst „den Boden dafür bereitet, daß wir wiederum aufs tiefste verletzt wurden“. Das, so sprach Durmus Genç Steffen direkt an, „verstehe ich nicht, denn wir hatten fast immer das Gefühl, daß Sie Verständnis für unsere Lage hatten“. Über den Grund für dieses unentschuldbare Versagen des Vorsitzenden Richters rätselt nicht nur die Familie Genç. „Der Richter muß in diesem Moment einen Black-out gehabt haben“, spekulierte gestern Rainer Brüssow, einer der Anwälte der Familie.

Brüssow schloß sich weitgehend dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft an. Auch er ist davon überzeugt, daß die angeklagten vier jungen Männer die Tat gemeinsam begangen haben. Deshalb seien die drei zur Tatzeit dem Jugendstrafrecht unterliegenden Angeklagten Felix K., Christian R. und Christian B. zu der höchsten zulässigen Strafe von jeweils zehn Jahren Haft zu verurteilen und der zur Tatzeit 23jährige Gartmann zu lebenslänglicher Haft.

Auch Adnan Erdal, der einzige türkischstämmige Anwalt der Familie Genç, erklärte gestern, er habe nach der Beweisaufnahme „die persönliche Gewißheit, daß die vier Angeklagten die Täter sind“. Für eine Unschuld der vier gebe es für ihn „nicht den leisesten Verdacht“. Im Gegensatz zu den Bundesanwälten forderte Erdal auch für Christian B., der zur Tatzeit 20 Jahre und vier Monate alt war, eine lebenslange Haftstrafe nach dem Erwachsenenstrafrecht. Um eine größere Abschreckungswirkung zu erzielen, sei es künftig erforderlich, Brandanschläge auf von Ausländern bewohnte Wohnhäuser als „Völkermord“ anzuklagen. Walter Jakobs

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