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Alles Lüge, oder nicht?

Fahrziele im Beziehungsdickicht: Eine Frau steht ihren Mann und macht letztendlich doch, was sie will – und das natürlich mit Berliner Schnauze  ■ Von Ruth Döbler

Dimitroffstraße, Ecke Schönhauser. Ein Typ, um die Vierzig, massige Gestalt, Lederjacke, in unter kräftiger Bierwampe schlabbernder, ausgeblichener Jeans, winkt. Neben ihm eine Frau, gut zehn Jahre jünger, zierlich, dunkelhaarig, Lederjacke. Das Taxi geht in die Kurve, hält direkt neben dem Paar. Der Typ öffnet die hintere Tür.

„Rutsch durch, du hast kürzere Beine!“ – „Danke, da weiß ick wat besseres!“ Sie dreht sich um, umrundet das Heck, steigt hinter dem Fahrer ein. „Bitte, wie Madam meinen.“ Der Typ läßt sich neben ihr auf den Sitz fallen, das Polster ächzt. „Morjen, Kollege, ins Zosch.“

Der Fahrer biegt links ein in die Schönhauser, Richtung Mitte.

„Wat wollt'n der Kerl von dir?“ – „Was der wollte? Tanzen!“ – „Tanzen? Abstauben wollter! Meinste, ick hab keine Augen im Kopp?“ – „Quatsch! Das'n Tanzfreak, der tanzt einfach gern!“

Das Taxi biegt gleich wieder rechts ab, in die Kastanienallee.

„Ick steh da wie'n Dödel mit deiner Jacke und kiek zu, wie du ne Nummer schiebst mit dem Sack!“ – „Maan, du wolltest doch nich tanzen!“ – „Nee, war ja auch Musik für Bekloppte!“ – „Na ja, mußte auch nich. Deswegen kann ick doch tanzen!“ – „Möchte wissen, wieso ick überhaupt mitjekommen bin!“ – „Wahrscheinlich, um mir den Abend zu versauen!“ – „Ach, so is das? Madame is der Abend versaut? Weißte wat? Wir können das Ganze auch abblasen! Ick merk doch schon seit Wochen, das hier wat nicht stimmt!“ – „Maan, jetzt mach doch nicht wieder so'n Terz! Sich trennen, weil ick mit nem andern tanze! Is ja albern!“ – „Ach, albern bin ick – Meister, Korrektur, wir fahrn zur Osloer, Wedding!“

Der Fahrer nickt, wechselt in die rechte Spur, Zionskirchplatz, Veteranenstraße, setzt den rechten Blinker.

„Fahrn Sie links, ich will ins Zosch.“ – „Wat willst'n im Zosch?“ „Wat willste im Zum Zum?“ – „Im Zum Zum kann man wenigstens reden!“ – „Ick denke, du trennst dich!“ – „Ach, du willst, das ick mir trenne? Bitte! – Fahr ins Zosch, da steigt die junge Dame aus und wir fahr'n denn weiter!“

Der Fahrer nickt, setzt den linken Blinker, biegt ab in die Brunnenstraße.

„Ick hab doch gewußt, daß da wat faul is! Seit drei Wochen sage ick, bei uns is wat faul! Aber du: nee, ick lieb dich! Is alles in Ordnung! Wir sind doch glücklich! Für wie blöd hältst du mich?“ – „Maan, wir waren glücklich, bis du vor drei Wochen angefangen hast zu erzählen, daß irgendwat faul is! Und weißte wat faul is? Das ick kein Schritt mehr machen kann, ohne genau zu erklärn, wohin der geht! Wenn einer bei mir anruft, denn willste wissen, wer, und denn mußte auch ganz genau wissen, wat er gesagt hat, und wenn ick nich alles Punkt für Punkt wiederhole, dann sagste wieder, daß irgendwat faul is!“ – „Ach, mein Interesse für dich is dir unangenehm?“ – „Nich Interesse, Kontrolle! Genehmigt is nur noch, wat ick mit dir mache, alles andere is scheiße! Du tanzt nich, also darf ick auch nicht tanzen! Du kannst meine Freundin nich leiden, also soll ick mich nich mehr mit ihr treffen! Soll ick nur noch mit dir aufm Sofa sitzen?“ – „Nee, aber du sollst endlich mal zu der Beziehung stehn! Wenn ick des Gefühl hätte, wir gehörn zusammen, wenn deine ganzen Liebeserklärungen mal hier im Bauch ankommen würden, dann könnteste rumtitschen wie du willst! Dann is das in Ordnung!“ – „Glaubet oder laßet bleiben! Wie soll man denn sowat beweisen? Du mußt doch merken, daß ick gern mit dir zusammen bin. Ick würde lieber mit dir ins Zosch gehn!“

Das Taxi erreicht die Torstraße, der Fahrer wirft einen Blick in den Rückspiegel, setzt den rechten Blinker, biegt ein.

„Naja, ok, gehn wa ins Zosch, aber wir reden! Wat du mit dem Fuzzi wolltest, is mir immer noch nich klar!“ – „Maan, bist du irre? Wo is denn der Typ? Der is da und du bist hier! Merkste nichts?“ – „Ja, na klar bin ick irre! Ick muß irre sein, mir son Flieger wie dich anzulachen!“

Das Taxi biegt links in die Tucholskystraße ein, fährt zwei Ecken weit, hält vor dem Zosch. Der Fahrer drückt die Uhr aus, sieht in den Rückspiegel.

„Zwölfzwanzig.“ – „Zahl du mal, ick hab nur noch'n Hunni.“ Der Typ steigt aus, zündet sich eine Zigarette an, bleibt mit dem Rücken zum Taxi stehen. Die Zierliche rutscht auf den freien Sitz rüber, zieht die Wagentür zu, drückt den Verriegelungsknopf. „Fahrn Sie los, zurück zum Franz-Klub!“

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