„Der Beginn einer neuen Flüchtlingspolitik“

■ Ausländerbeauftragte der Länder sind sich uneins, ob Flüchtlingskontingente für Kirchen sinnvoll wären. In Berlin hält man den Vorschlag für „sensationell“

Berlin (taz) – Der Vorschlag des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU), den Kirchen bestimmte Kontingente für Flüchtlinge einzuräumen, stößt bei den Ausländerbeauftragten der Länder auf ein geteiltes Echo. Die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John findet den Vorschlag „sensationell“. Er eröffne erstmals die Möglichkeit, daß in Zukunft nicht nur politisch Verfolgte in Deutschland Asyl bekommen. Künftig wären auch andere Fluchtgründe denkbar, „etwa Umwelt- und Naturkatastrophen oder extreme Armut“. Zugleich plädierte Barbara John dafür, daß es nicht nur Kirchen erlaubt sein sollte, ein gewisses Kontingent von Flüchtlingen aufzunehmen und für deren Unterhalt die Kosten zu tragen. Auch andere Gruppen sollten Bürgschaften für einzelne Flüchtlinge übernehmen können. Immerhin würde diese Praxis in Kanada, einem klassischen Einwanderungsland, hervorragend funktionieren. „Das wäre der Beginn einer wirklich neuen Flüchtlingspolitik.“ Auch der sächsische Ausländerbeauftragte Heiner Sandig kann sich für die Ideen des bayerischen Innenministers begeistern. „Eine Gemeinde könnte beispielsweise darauf verzichten, ihre Orgel zu renovieren und dafür einen Flüchtling aufnehmen.“ Brandenburgs Ausländerbeauftragte Almuth Berger ist da anderer Meinung. Beckstein gestehe mit seinem Vorschlag faktisch ein, daß die immer wieder geübte Kritik an der Praxis des Asylrechts „offensichtlich berechtigt ist“. Wenn Flüchtlinge, die akut von Abschiebung bedroht waren, in den letzten Jahren Asyl in Kirchen fanden, so habe eine erneute Prüfung der Asylgründe in mehr als 70 Prozent der Fälle dazu geführt, daß Asylbewerber nicht abgeschoben wurden. Der bayerische Innenminister versuche die „Verantwortung für die Einhaltung der Gesetze auf die Kirchen und ihre Zahlkraft abzuwälzen“, meint Berger. Menschenrechte seien durch dieses Asylrecht nicht mehr garantiert. „Das eigentliche Problem“, so Berger, „liegt in unserem Asylverfahren, das unter Umständen zu Entscheidungen kommt, die für die Betroffenen eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit zur Folge haben können.“ Ozan Ceyhun, der Leiter des hessischen Büros für Einwanderer, Flüchtlinge und ausländische Arbeitnehmer sprach in den letzten Tagen mit Vertretern der evangelischen und katholischen Kirchen in Hessen. Sie lehnen Becksteins Vorschlag rigoros ab. Anstelle von Flüchtlingskontingenten für Kirchen, fordert Ceyhun eine „humanere Zuwanderungspolitik“. Erst der sogenannte Asylkompromiß von 1992 habe dazu geführt, „daß das Kirchenasyl heute solch eine Rolle spielt“. Karin Flothmann