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„Jetzt buchen, später fluchen“

Eine schräge Butterfahrt: Mit drei Bands, einem DJ und 110 TeilnehmerInnen per Eisenbahn durch Polen  ■ Von Hein Schlüter

Es begann 1992 als Promotion- Gag der Hamburger Band Bazooka Cain für ihre erste Single: eine Kurztournee nach Prag, bei der das Publikum mitfahren konnte. Bereits damals lautete der Slogan „Butterfahrt mit Tonträgerverkaufsveranstaltung (Teilnahme ist freigestellt)“. Die Bandwurm-Wortschöpfung der Plakate zeigt, daß von dieser Art Butterfahrt eher eine schräge Variante auf betuliche Kaffee-und-Kuchen- Fröhlichkeit zu erwarten ist.

Und doch gibt es Parallelen. Zum einen ist es der niedrige Preis und zum anderen das in späteren Jahren verteilte Faltblatt als liebevoll gestaltete Parodie auf die allzu gut bekannten Postwurfsendungen. Ansonsten gilt die Devise, immer den billigsten, aber nicht zwangsläufig den einfachsten Weg zu nehmen. Im Klartext: Eisenbahn und öffentlicher Nahverkehr, inklusive Umsteigen und Gepäck schleppen, sozusagen „im Fahrpreis inbegriffen“. Das gilt auch für die Musiker mit ihren Instrumenten. Denn es gehört zum Konzept, vor Ort Konzerte mit einheimischen Bands zu organisieren, mit denen dann Schlagzeug und Verstärker geteilt werden können.

Nach dem Erfolg der 92er Butterfahrt ging es in den folgenden Jahren nach Moskau und mit über 200 Teilnehmern nach St. Petersburg. Hier führte die Route über Schweden und Finnland.

Verglichen mit jener jeweils zweieinhalbtägigen Hin- und Rückfahrt sollte es in diesem Jahr eine „Butterfahrt light“ werden: eine Rundreise über Warschau, Danzig und Krakau. Light wegen der kurzen Entfernungen, light aber auch bezogen auf die Teilnehmerzahl von 110, bedingt durch die chaosbedingte kurze Anmeldefrist. Überwiegend Twentysomethings, aber auch zwei deutlich ältere – höflich: der Elterngeneration zuzurechnende – Frauen harren der Dinge. Mit Rucksäcken, Seesäcken oder den unvermeidlichen Hartschalenkoffern mit Rollen. Ungefähr zwei Drittel von ihnen waren bereits auf früheren Butterfahrten mit von der Partie. Wie in den Jahren zuvor sorgt schon das Faltblatt vorab für Erheiterung. Sicherlich könnte man mit einer zeitgemäßen Korrektheit einige Programmpunkte wie den Besuch des „Marktes der hunderttausend Taschendiebe“ oder den „Umlackiererkurs in einer renommierten Autoschieberei“ als ein Sammelsurium von Vorurteilen verurteilen. Aber dazu müßte man die offensichtliche Parodie ernst nehmen. Und abgesehen davon – Tadel an den Veranstalter wegen nicht eingehaltenen Programms! – findet der erste Diebstahlsversuch bereits um kurz nach sechs Uhr morgens in einer Warschauer Straßenbahn statt. Der offensichtlich nicht ausgeschlafene Dieb wird nach einem kurzen Spurt gestellt.

Auch sonst zeigt sich bei der Ankunft in Warschau ein typisches „Phänomen Butterfahrt“. Wegen des kurzen Stopps schaffen es einige nicht, rechtzeitig aus dem Zug auszusteigen. Während Organisator und „Ober-Ober-Chef“ Markus Lezaun einige Leute am Gleis zurückläßt und andere zum nächsten Bahnhof schickt, machen sich die Verschollenen ganz selbständig auf die Suche nach dem Hotel. Fazit: Ein Butterfahrer sollte mehr als die für eine Gruppenreise typischen Herdentier-Fähigkeiten besitzen.

Ähnlich chaotisch geht es weiter. Das erste angekündigte Konzert im Warschauer Hybridi Club, „der nun wirklich so heißt, wie der Oberkellner aussieht“ (Zitat Faltblatt), droht auszufallen. Es handelt sich um eine Sonntagnachmittag-Techno-Disco für höchstens 15jährige, in der niemand etwas von einem Konzert weiß. Erst nach einigen Verhandlungen kann gegen Mitternacht die Berliner Girlie-Dance-Group Tschaikusis auftreten. Auch wenn die Dancefloor- Rhythmen bei den verbliebenen Warschauer Kiddies eher Belustigung hervorrufen, zeigen sich erste Tanz- und Party-Qualitäten der Butterfahrer.

Daß dieser Abend für einige noch länger geworden ist, zeigt sich am nächsten Morgen nach der Zugfahrt, Abfahrt sechs Uhr, Richtung Danzig. Kaum angekommen, folgt ein Teilnehmer keinesfalls der Sitte eines polnischen Vatikanübersiedlers, bei Ankunft in einem fremden Land den Flughafenboden zu küssen, sondern er zeigt schlicht alkoholbedingte Ermüdungserscheinungen.

War bereits das Warschauer Hotel für Butterfahrer-Verhältnisse komfortabel, erscheint das im Danziger Badevorort Sopot gelegene Hotel Miramar schlicht als eine Idylle. Zumal die Schlichtunterkünfte in den Außenbezirken von Moskau und St. Petersburg in guter – damit aber nicht zwangsläufig in bester – Erinnerung sind. Zimmer mit Balkons und Blick auf einen Wald, durch den man zu einem postkartenidyllischen Sandstrand gelangt.

Passend zu dieser Urlaubsidylle spielen die Bands abends in einer Konzertmuschel an der Mole. Anders als ursprünglich geplant sind keine polnischen Bands dabei, entsprechend beschränkt sich das einheimische Publikum auf zufällig vorbeiflanierende Zaungäste. Geboten wird der schnelle Gitarrenpop von Bazooka Cain, unter anderem mit einer Up-tempo-Version von Brecht/Weills „Lied von der Unzulänglichkeit“. Sollte es sich dabei um einen versteckten Hinweis auf das Organisationsprinzip der Butterfahrt handeln? Anschließend das Kontrastprogramm: Axel Sweat aus Düsseldorf mit (achsel)schweißtreibendem Kurze-Hosen-Punkrock. In Düsseldorf gibt es nicht nur tote Hosen, sondern auch quicklebendige ...

Der nächste Tag bietet entweder eine Besichtigung der geschichtsträchtigen ehemaligen Lenin-Werft, von wo der historische Umbruch des Ostblocks letztlich ausging, oder als schräge Butterfahrt-Alternative einen Schnellkurs im Gardinenaufhängen. Anschließend geht es weiter mit einer „klassischen“ Butterfahrt, einem Bootsausflug in der Danziger Bucht bei idyllischem (sic!) Sonnenschein. Zwar ohne zollfreie Butter, dafür mit einem weiteren Auftritt der Tschaikusis und Disco Witek, der Danziger Möchtegernstimmungskanone, die „nach hinten losgeht“ (Zitat Faltblatt). In der Tat schafft er es, die Leute mit monotonem Playback-Gehampel so sehr zu nerven, daß man nicht umhinkann, zu lachen. Die mitfahrenden Danziger finden ihn offensichtlich peinlich. In wesentlich angenehmerer Erinnerung bleibt der tiefschwarze Dancefloor-Jazz von DJ Uhuru aus Hamburg, wobei das Schaukeln des Schiffes ganz neue Tanzkombinationen vorgibt.

Beim abendlichen Konzert in einem Club im Studentenwohnheim kommt es zum ersten Mal zu einem Kontakt mit einheimischen Jugendlichen, die allerdings eher zufällig – Stichwort perfekte Planung – in das Konzert von Bazooka Cain und Axel Sweat platzen.

Die Fahrereien zu den unterschiedlichen Ausgangspunkten, jeweils auf eigene Faust, ergeben Stadtrundfahrten der etwas anderen Art: „Sind wir hier nicht gestern vorbeigekommen, als wir den Club gesucht haben?“ Trotz dieser eher peripheren Eindrücke fallen die nach dem Verbrannte-Erde- Rückzug der Deutschen behutsam rekonstruierten Patrizierhäuserzeilen in der Innenstadt auf, die so ganz anders wirken als die grelle McDonaldisierung in Warschau.

War Danzig eher hanseatisch zurückhaltend auf Touristen eingestellt, bietet sich in Krakau eine fast mediterrane Pracht. Vor deren Genuß setzen die Butterfahrt- Chefs allerdings die Linienbusfahrt zum Quartier, einem schachtelartigen Schlichthotel im Industriegebiet mit Aussicht auf das lokale Atomkraftwerk. Irgend jemand glaubt Ähnlichkeiten mit dem Tschernobyl-Reaktor zu erkennen.

Nach einem bislang mehr oder weniger organisierten Programm lautet das Motto für die letzten drei Tage: Eigeninitiative. Es wird beherzigt. Und sei es nur, um das grandiose Flair des Rynek zu genießen: Zu Recht zählt er zu den schönsten Plätzen Europas. Durch seine Größe nimmt er problemlos die Besuchermassen eines stattfindenden Militärkapellenfestivals, das definitiv nicht zum Butterfahrt-Programm gehört, oder Reisegruppen von Europe-in-twelve- days-Japanern auf.

Hier in Krakau muß das Abschlußkonzert erst noch organisiert werden. Es findet in einem Bluesrock-Kellerclub statt, in dem regelmäßig Coverbands auftreten. Zusammen mit einer solchen Smoke-on-the-water-Kapelle tritt Axel Sweat gegen Mitternacht auf. Die authentischen, ja fast „punkmäßigen“ Bedingungen – Gesang über den Gitarrenverstärker, nicht einmal eine PA-Anlage – tun der Stimmung keinen Abbruch.

Gerade dieses improvisierte letzte Konzert zeigt die Idee, die hinter der Butterfahrt steckt. Eigentlich paßt nichts zusammen – weder die Musikstile der Bands noch die Zusammensetzung der Mitfahrer: vom trinkfesten Hafenarbeiter zum BWL-Studenten, von naiven Girlies zu den beiden älteren Frauen –, aber alle zeigen am Ende offene Begeisterung.

Kontakt-Telefon wegen Infos zur nächsten Butterfahrt, vermutlich Sommer 1996 nach Rumänien: Markus Lezaun, Tel.: 0211- 331137, Fax: 0211-331138

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