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Endzeitstimmung bei der „Schnullerbande“

Die Existenz von 28.000 Kita-Plätzen der freien Träger ist gefährdet. Probleme durch chronische Unterfinanzierung. Kinderläden können Belastung zunehmend nicht mehr tragen, Wohlfahrtsverbände fordern die Erhöhung des Platzgeldes  ■ Von Michaela Eck

Die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege schlagen Alarm: Paritätischer Wohlfahrtsverband, Diakonisches Werk, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz und die Arbeiterwohlfahrt sehen rund 28.000 Kita-Plätze gefährdet. Selbst die geringsten Gelder würden nicht fließen, klagt Manfred Kräutlein vom Diakonischen Werk über den Senat.

Aktuelles Beispiel: Seit Anfang des Jahres warten sie auf die Auszahlung von 5,8 Millionen Mark. Dieses Geld hatte das Abgeordnetenhaus schon Ende vergangenen Jahres den nicht landeseigenen Kitas als einmalige Ausgleichszahlung für die vereinbarte Tarifangleichung Ost für das Jahr 1995 bewilligt. „Seit zehn Monaten liegen die Gelder jetzt auf Eis“, empört sich die Sprecherin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Elfi Witten.

„Obwohl diese 5,8 Millionen Mark – verteilt auf 28.000 Kitaplätze – im Endeffekt nur 80 Pfennige pro Kind und Öffnungstag sind, brauchen wir auch diesen Tropfen auf den heißen Stein.“ An der miserablen Finanzsituation könnte dieses Geld allerdings wenig ändern, räumt Manfred Kräutlein vom Diakonischen Werk ein.

In der Senatsjugendverwaltung sieht man das Problem längst nicht so dramatisch. Der Hauptausschuß habe die 5,8 Millionen Mark mit der Maßgabe gesperrt, die Senatsjugendverwaltung solle zunächst einen Bericht vorlegen, wie weit im Ostteil der Stadt die Übertragung der kommunalen Kitas in freie Trägerschaft fortgeschritten sei und wie weit man mit den Verhandlungen über die Platzgeld-Erhöhungen sei. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht“, sagt Klaus Löhe, Staatssekretär in der Senatsjugendverwaltung, „der Bericht liegt vor, und ich gehe davon aus, daß die Gelder im September entsperrt werden.“ Die elf Ostbezirke bekämen ihren Anteil bereits jetzt ausgezahlt, da hier die Finanzdecke noch dünner sei.

Alles paletti? Keineswegs! Was die freien Träger an den Rand der Zahlungsunfähigkeit bringt, ist ein ganzes Paket von Problemen. Da ist einerseits das knapp bemessene Platzgeld, das der Senat an die freien Träger zahlt. Andererseits dürfen gemeinnützige Vereine gesetzlich verpflichtet keine Gewinne machen und für schlechte Zeiten ein Polster anlegen. Auf Gedeih und Verderb sind sie darauf angewiesen, daß sie das zugesagte Geld auch pünktlich erhalten. Besonders hart trifft so eine Geldverzögerung die Kitas der kleinen freien Träger.

„Was nützt es mir, wenn ich diese einmalige Ausgleichszahlung im Oktober bekomme? Wie soll ich so kalkulieren“, schimpft eine Kita-Leiterin. In diesem Jahr seien schon zehn Gehälter gezahlt worden, bei denen die Tariferhöhung und die Ost-West-Angleichung mit eingeflossen seien. „Diesen Ausgleich mußte ich irgendwie aufbringen. Ich kann ja keine Schulden machen und der Bank sagen, der Rest kommt im Oktober.“ Andererseits müsse das Geld dann aber im Oktober hopplahopp ausgeben werden, denn Ende des Jahres muß die Bilanz null sein.

In den Kinderläden, ob im „Enemenemopel“, im „Stehaufmännchen“ oder bei der „Schnullerbande“, herrscht Endzeitstimmung. Die hohen Gewerbemieten, gestiegene Lebenshaltungs- und Personalkosten scheinen den Elterninitiativ-Kinderläden (EKT) jetzt den Garaus zu machen. „Mit dem mageren Platzgeld, das wir pro Kind und Öffnungstag vom Bezirksamt bekommen, läßt sich so ein Laden kaum noch finanzieren“, sagt Norbert Unger, Geschäftsführer der Kindervereinigung e.V., Träger der Kita „Enemenemopel“.

Seit drei Jahren gibt es im Westteil 31,61 Mark pro Kind und Öffnungstag, im Ostteil sind es mit 26,87 sogar rund fünf Mark weniger. Damit ließen sich gerade mal die Personalkosten für die Erzieher und Erzieherinnen decken, so die Bilanz von Ilona Reuß, Leiterin der Kita Bissingzeile e.V. Miete, Spielzeug, Essen oder auch mal ein kleiner Ausflug seien damit noch nicht bezahlt. Tariferhöhungen, gestiegene Lebenshaltungskosten und die allgemeine Teuerungsrate seien am Platzgeld seit Jahren spurlos vorbeigegangen.

Finanziert werden – so ist es jedenfalls im Gesetz festgelegt – die Kitas der freien Träger über das Platzgeld, den einkommensabhängigen Elternbeitrag, der im Kitakostenbeteiligungsgesetz festgelegt ist, und die Eigenleistung der freien Träger. Bei den EKTs ist die Eigenleistung der Eltern jedoch exorbitant. Neben Koch- und Putzdiensten sowie nächtlichen Renovierungsaktionen zahlen die Eltern ihrem Verein auch zusätzlich eine „Spende“. Auf fast 300 Mark beläuft sich die „Spende“ der Eltern in der Kita „Enemenemopel“. Der niedrigste Monatsbeitrag liegt somit hier bei satten 375 Mark.

Da das Platzgeld seit Jahren stagniere, mußte zwangsläufig der Eigenanteil der Eltern erhöht werden. „Die Eltern zahlen teilweise für die Betreuung ihrer Sprößlinge astronomische Summen, nur um die Einrichtung am Leben zu erhalten“, bestätigt Birgit Peters vom Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden e.V. (DaKS).

Ein Teufelskreis entsteht: Zu hohe zusätzliche Elternbeiträge, gekoppelt mit gekürzten Öffnungszeiten schrecken die Eltern ab, die Kids bleiben weg, die EKTs können ihre Gruppen nicht mehr füllen, die Platzgelder vom Bezirksamt werden weniger, die laufenden Betriebskosten aber bleiben gleich. Das Ende vom Lied ist die Schließung. Einige der Elterninitiativ-Kitas hätten schon sang- und klanglos ihre Pforten geschlossen.

Andere Kinderläden könnten nur deshalb überleben, weil es mit den Erzieherinnen eine „stillschweigende Übereinkunft“ gebe, auf die Tariferhöhungen, die ihnen nach dem Gesetz zustünden, zu verzichten, bestätigt auch Elfi Witten, Sprecherin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Von dieser Misere sind rund 600 Kinderläden betroffen. Mit fast 11.600 Plätzen sind sie die Spitzenreiter unter den freien Trägern und stellen einen unverzichtbaren Teil der Kinderbetreuung in dieser Stadt dar. Doch nicht nur ihnen steht das Wasser bis zum Hals, auch die Kita-Plätze der anderen freien Träger sind chronisch unterfinanziert und damit gefährdet. Insgesamt betroffen sind 28.000 Kita-Plätze.

Um diesen Erdrutsch aufzuhalten, drängen die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege jetzt entschieden auf ein Kita-Gesetz. Berlin sei das einzige Bundesland, das immer noch kein Kita-Gesetz verabschiedet hat, empört sich Manfred Kräutlein vom Diakonischen Werk. Ohne diesen gesetzlichen Rahmen und eine gesicherte Finanzierung seien die Kitas längerfristig nicht mehr zu halten, so lautet seine düstere Prognose. Die gemeinnützigen Vereine haben durchweg zuwenig Kapital, sie leben von den Zuschüssen des Landes. Über jede Mark muß ein Verwendungsnachweis geführt werden. Rücklagen sind nicht erlaubt, Gewinne dürfen nicht erwirtschaftet werden. Wird der Etat überzogen, ist der Verein juristisch pleite. Vor allem die GeschäftsführerInnen der kleinen EKTs haben sich zu regelrechten FinanzjongleurInnen gemausert. Ohne gewisse Tricksereien läuft da gar nichts mehr, bestätigt der Dachverband Berliner Kinderläden.

Im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) sei zwar vorgeschrieben, daß freie Träger verstärkt Kindertagesstätten übernehmen sollen. Dieser Gesetzesauftrag bliebe aber ein frommer Senatswunsch, wenn die Essentials nicht gewährleistet seien. Welche Erzieherin in einer kommunalen Kita läßt sich auf solch unsichere Gehaltszahlung ein, fragt die Sprecherin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Die freien Träger sind es leid, auf die monatlich gezahlten Zuwendungsgelder des Senats angewiesen zu sein. Jedes Jahr müßten die Gelder von neuem beantragt werden. Außerdem würden seit Jahren nur vorläufige Bescheide ausgestellt. Nur noch häppchenweise alle drei Monate käme das Geld, sagt Birgit Peters vom DaKS.

„Seit Jahrzehnten betreiben wir Kindertagesstätten, und jedes Jahr werden wir haushaltstechnisch so behandelt, als wären wir ein neues Projekt mit einer Laufzeit von einem Jahr. Was wir brauchen, sind Gelder, die längerfristig bewilligt werden“, fordert Elfi Witten vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Schließlich seien die privaten Einrichtungen für das Land weit billiger als die landeseigenen Kindertagesstätten.

Wenn es für das nächste Jahr keine Erhöhung der Platzgelder um mindestens zehn Mark gebe, können wir das so nicht weiterfinanzieren, lautet das Resümee des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Besonders gefährdet sind die Kitas der kleinen Träger, bestätigt Georg Lochen von der Caritas. Kirchliche Träger wie der Caritas Verband oder das Diakonische Werk hätten immerhin noch Kirchensteuermittel, mit denen die finanziellen Defizite gedeckt werden könnten.

„Trommeln gehört zum Geschäft“, kommentiert Staatssekretär Klaus Löhe von der Senatsjugendverwaltung den Alarm der freien Trägen. Verhandlungen über die Platzgelderhöhung seien ja schon begonnen worden, so sein beruhigendes Plazet. Tatsächlich aber stagnieren die Verhandlungen. „Es fehlt zur Zeit selbst die Basis, auf der überhaupt verhandelt werden kann“, klagt Verhandlungsführer Manfred Kräutlein vom Diakonischen Werk.

Grund: Berlin ist das einzige Bundesland, das noch kein Kita- Gesetz hat. Die Essentials wie Gruppengröße und Personalschlüssel, Öffnungszeiten oder welche Verfahren für die Betriebserlaubnis der Kindertagesstätten gelten sowie Betreuungsangebote und die sogenannte „Küchenregelung“ müßten endlich per Gesetz geregelt werden. Doch die Verhandlungen sind ausgesetzt worden. Daß das Abgeordnetenhaus ein Kita-Gesetz noch vor der Wahl verabschiedet, daran glaubt kaum noch jemand. Nur auf dieser Basis aber könnten konstruktive Verhandlungen um das Platzgeld geführt werden.

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