Völker, schnürt die Sandale!

Im berühmten Leimen endete die letzte Etappe der 43. Fußbett-Rallye, dem Paris-Dakar der deutschen Gesundschuh-Anhänger  ■ Aus dem Dr.-Scholl-Stadion Rüdiger Kind

Trapp, trapp, schlurf, latsch, cloggerdiclogger – Sie werden es, werte Leser, sicherlich längst bemerkt haben: Die alljährliche „Fußbett-Rallye“ der deutschen Gesundschuh-Anhänger ist wieder in vollem Gange! Und daß dieses, wenn ich das mal so locker geschnürt sagen darf, Paris-Dakar der deutschen Fußbettler ein Erfolg werden wird, dafür sorgt allein schon die perfekte Organisation des Veranstalters. Der Zweckverband der deutschen Bequemschuh-Hersteller rief und alle, alle kamen: die Bad Wörishofener Riemen-Sandalisten, die Riesengruppe derer, die da am Birkenstock gehen, die Schnabelschuhpiloten vom Gehverbund Lauffen, aber auch Einzelgänger wie Schorsch Eberl, der „Jesus vom Randersacker“, der auf den ersten Etappen mit seinen fersenabgesenkten Korktretern schnell zum Liebling der Zuschauer avancierte. Nicht zu vergessen die radikale Fraktion der Schnürgegner, versprengte Reste der Holz-Cloggeraner und natürlich Anhänger des Fußbett-Gedankens aus allen Teilen der Republik. Sie alle und noch viel mehr folgten dem Aufruf des Veranstalters – „Auf sanften Sohlen die Natur be-treten“.

Von Schifferstadt nach Leimen führt die letzte Etappe des anspruchsvollen Kurses, aber daß es am Zielort, das kleine Wortspiel sei mir gestattet, nichts zu leimen gibt, dafür bürgt allein schon die umfassende „Schuhverlässigkeitsgarantie“ des Deutschen Bequemschuh-Instituts. Sechs Jahre Gewährleistung gegen Durchrosten, nach dem bayerischen Reinheitsgebot von deutscher Hand zwiegenäht und rahmenverstärkt – da kann man getrost ausschreiten und die Straße „unter die Brandsohle nehmen“.

Doch genug der einleitenden Worte! Nach zahlreichen, mitunter das Letzte fordernden Sonderprüfungen wie dem „Großen Preis von Sockenheim“ erwarten wir nun die verbliebenen Teilnehmer dieser Tour der Leiden in der Arena des restlos ausverkauften Leimener Dr.-Scholl-Stadions zu den alles entscheidenden letzten Runden. 20.000 Zuschauer verwandeln diese traditionsgeschwängerte Kampfbahn in einen brodelnden Hexenkessel, gegen den selbst ein ausverkauftes Münchner Olympiastadion wie die Betstube eines Mädchenpensionats wirkt. Fanclubs aus allen Ecken und Enden des Landes schwenken ihre selbstgebatikten Fahnen, Kampfgesänge werden angestimmt, alles wartet in fieberhafter Spannung auf das Eintreffen der ersten Geherinnen und Geher und deren fulminanten Endspurt. Wer wird am Ende die Socke zuerst über die Ziellinie bringen und die begehrte Trophäe entgegennehmen?

Die ersten Teilnehmer müssen jeden Moment hier einlaufen ... und da kommt sie schon, die Spitzengruppe, ein ganzes Rudel von Hochleistungsgehern, die mit ihrem wunderbar runden Bewegungsablauf Lust machen, sich selbst einmal wieder auf Schusters Rappen zu begeben. In Führung Elmar Schleeb mit der Nummer 27 aus dem Mephisto-Team, das bis jetzt hervorragende Arbeit geleistet hat. An dieser Stelle aber ein Wort zu den geherfeindlichen Launen des Wettergottes. Tagelange Regenfälle haben die Aschenbahn in ein wahres Feuchtbiotop verwandelt, und es wird sich zeigen, wer auf diesen schwierigen Bodenverhältnissen Haftung bewahrt ...

Horst Eberhard Kroll auf Bergemann jedenfalls arbeitet sich jetzt mit den für ihn so typischen Armbewegungen nach vorn, attackiert Elmar Schleeb, aber der legt noch einen Zahn zu, wehrt ab, setzt sich vorerst vom Feld ab. Wirklich ein äußerst schwer begehbarer Boden, schon stürzen die ersten Geher, die in immer größeren Pulks ins Stadion einlaufen. Jens Sodermann, deutscher Juniorenmeister über die 20-km-Distanz, löst sich jetzt von der Verfolgergruppe und greift an! Mit seinen Antischlupf- Sandaletten „Wetzlar“ verfügt er natürlich über das denkbar beste Material für diesen schwierigen, schmierigen Untergrund, auf dem etliche Geher regelrecht aus ihren tiefergelegten Latschen kippen. Besonders schlimm trifft es Holger Fink, der mit seinen Holz-Clogs naturgemäß einen schweren Stand hat, ins Straucheln gerät und einen Massensturz verursacht!

Fein heraus ist da Jennifer Wilms, die, wenn ich das recht sehe, hohe Absätze an ihre Treter montiert hat. Und der Erfolg gibt ihr recht, ihre Traktion ist phänomenal – leichtfüßig birkenstöckelt sie am gesamten Feld vorbei, rollt es von hinten auf! Während links und rechts selbst alte Routiniers im Schlamm versinken, übernimmt Jennifer Wilms, die 23jährige Telefonistin aus Bad Soden, die Führung! Selbst der bislang führende Elmar Schleeb hat diesem Antritt nichts mehr entgegenzusetzen. Mit souveräner Führung geht sie in die Zielgerade, dreht sich noch einmal um, sieht, daß ihre Verfolger weit abgeschlagen sind, hat alle Zeit der Welt für ein paar Show-„Einlagen“, die vom Publikum mit frenetischem Beifall belohnt werden, und dann tänzelt sie geradezu über die Ziellinie! Jennifer Wilms hat als erste Frau diesen traditionsreichen Wettbewerb für sich entschieden, ungeachtet aller gesundheitlichen Risiken.

Ohne ihren Sieg schmälern zu wollen, aber, kaum zu glauben, diese Ausnahmegeherin scheint noch nie etwas von Senk-, Spreiz-, Knick- und Sichelfuß, von Wirbelsäulenverkrümmung und dauerhaften Haltungsschäden infolge hochhackigen Schuhwerks gehört zu haben. Doch wir wollen nicht rechten, überlassen wir uns nun dem Taumel der Gefühle, genießen wir gemeinsam mit der sympathischen Siegerin die Stunde des Triumphes, während die Verfolger mit letzter Kraft ins Ziel und zu den vorsorglich bereitgestellten Fußbädern taumeln.