■ Ergebnisse der Beratungen des Nato-Rats in Brüssel zur Verteidigung der Schutzzonen in Bosnien:: Keine Luftangriffe, weitere Demontage der UNO
Neben vielen Widersprüchen und nach wie vor offenen Fragen brachten die mehrtägigen Beratungen des Brüsseler Nato-Rats zwei eindeutige Ergebnisse. Erstens: Es wird keine Luftangriffe geben, die über die bisherigen Nadelstichoperationen hinausgehen. Zweitens: Die UNO ist im öffentlichen Ansehen weiter beschädigt worden.
Das erste Ergebnis war seit der Londoner Konferenz absehbar, die in vielem an München 1938 erinnerte. Die Drohung mit Luftangriffen richtet sich ausschließlich gegen weitere Angriffe der Karadžić-Serben auf Goražde, die letzte verbliebene ostbosnische „UNO-Schutzzone“. Doch die Karadžić-Serben werden Goražde in den nächsten Tagen und Wochen nicht angreifen. Ebensowenig, wie sie nach der Stationierung von schwerbewaffneten Einheiten der „schnellen Eingreiftruppe“ bei Sarajevo dort weiter auf UNO-Blauhelme schießen werden. Alles andere wäre eine große Überraschung, nachdem Karadžić, sein General Mladić und ihr Belgrader Mentor Milošević in den ersten 40 Monaten dieses Krieges fast immer richtig taktierten und auf dem Schlachtfeld wie am Verhandlungstisch bislang in allen Etappen dieses Konflikts die Oberhand behalten haben. Mit Angriffen auf Goražde können die Serben warten, bis sich die aktuelle Aufregung gelegt hat und das Interesse der Weltöffentlichkeit wiederabgeflaut ist. Es reicht ja, die nach der Eroberung von Srebrenica und Žepa völlig isolierte ostbosnische Enklave weiter zu belagern und ihre 60.000 Einwohner, die Dienstag dieser Woche zum erstenmal seit Mai wieder humanitäre Hilfe von außen erhielten, weiter auszuhungern.
Man darf in Pale und Belgrad auch davon ausgehen, daß sich irgendwann im Spätherbst in der Bosnien-Kontaktgruppe die „Realpolitik“ bei der Bereinigung der Teilungskarte voll durchsetzt und Goražde den Serben zugesprochen wird. Aktuell hat die bosnisch-serbische Soldateska weit dringendere Aufgaben in Bihać, das von größerer strategischer Bedeutung ist als Goražde. Die Belagerer von Bihać, wo ein Eingreifen regulärer kroatischer Truppen auf seiten der bosnischen Regierungsarmee unmittelbar bevorsteht, brauchen Unterstützung.
Das zweite Ergebnis der Nato-Rats-Tagung war nach der Londoner Konferenz zumindest zu befürchten. Dennoch frappiert, wie einfach – und offensichtlich ohne kritisches Nachfragen der dazu Berufenen – von Brüssel aus in den letzten vier Tagen wieder das Märchen vom Konflikt zwischen zögerlicher/bürokratischer UNO und entschlußfreudiger/handlungsfähiger Nato weltweit verbreitet wurde. Ein bißchen Recherche in der New Yorker UNO-Zentrale, den Unprofor-Hauptquartieren in Zagreb und Sarajevo sowie in den Verteidigungsministerien in London und Paris würde ergeben, daß die „Ausschaltung der zivilen UNO-Befehlsebene“ (sprich Butros Ghali und Akashi) nicht das Problem ist. Denn diese „zivile Ebene“ war in den letzten zwei Jahren in 90 Prozent der Fälle, in denen lokale Unprofor-Kommandanten um Nato-Luftunterstützung nachsuchten, gar nicht eingeschaltet. Die Entscheidung – und zwar fast immer gegen die Anforderung der Nato – fiel schon auf der militärischen UNO-Ebene, das heißt der britischen und französischen Oberkommandeure der Unprofor. Wenn, vorausgesetzt Butros Ghali stimmt zu, diese Praxis der letzten zwei Jahre jetzt lediglich zum offiziellen Verfahren erklärt wird, was hat sich dann geändert?
Auch die am Rande der Brüsseler Tagung von Nato-Offiziellen erneut verbreitete Version, Akashi habe ein energischeres Eingreifen der Nato in Srebrenica verhindert, hält den Fakten nicht stand. Ebensowenig die Behauptung, er habe den Brief an Karadžić geschrieben, mit dem der Serbenführer (und übrigens mit einem identischen Brief auch die bosnische Regierung) um die Zustimmung zur Stationierung der „schnellen Eingreiftruppe“ ersucht wurde.
Man muß Respekt haben für die Höflichkeit und Loyalität, die es Akashi bislang verbietet, einmal die Fakten offen auf den Tisch zu legen. Die Art, wie der kleine, bei öffentlichen Auftritten häufig lächelnde Japaner inzwischen stellvertretend für die UNO von europäischen und nordamerikanischen Medien zum Schuldigen gemacht wird, sagt einiges über versteckten Rassismus aus. Nur zur Erinnerung: Der erste UNO-Vermittler in Jugoslawien hieß Cyrus Vance, ein ehemaliger US-Außenminister mit vierzigjähriger Erfahrung als Vermittler und „trouble-shooter“ in der ganzen Welt. Er scheiterte an Milošević und Karadžić. Ebenso wie sein Nachfolger Thorvald Stoltenberg, ehemaliger Verteidigungsminister seines Landes und – aufgrund seiner Botschaftertätigkeit in Belgrad – mit vorgängigen Erfahrungen auf dem Balkan ausgestattet. Aber er ist eben ein großer, stattlicher Norweger, dem man leichter verzeiht. Andreas Zumach
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