: Lockendes Nordkorea
Die Regierung des Landes versucht, die Tür einen winzigen Spalt zu öffnen – ohne jedoch unliebsame Einflüsse hereinzulassen ■ Aus Pjöngjang Sheila Tefft
Der junge Mann in Pjöngjang ist ein echter Patriot. Im Dienste des letzten nordkoreanischen Herrschers Kim Il Sung arbeitet er sieben Tage in der Woche in der Bibliothek. „Ich widme mein Leben meinem Land“, sagt er, angesprochen auf den letzten Präsidenten, der im Juli vergangenen Jahres starb und jetzt in seinem Palast ausgestellt ist – einbalsamiert und in einem großen Glaskasten. „Ich widme mein Leben dem Großen Führer.“
Aber in die scheinbar vollkommene Ergebenheit des Jungen Mannes haben sich erste unliebsame Einflüsse aus dem Ausland eingeschlichen. „Ich habe während meiner Ausbildung amerikanische Filme gesehen“, gibt er zu. „Ich weiß, daß Michael Jackson in Ihrem Land sehr beliebt ist, aber ich mag seine Musik nicht.“
Nach jahrzehntelanger Isolation vollzieht Nordkorea einen Balanceakt, indem es vorsichtig versucht, wirtschaftliche und andere Verbindungen mit dem Ausland zu knüpfen, ohne an seinem streng reglementierten System zu rütteln. Da die nordkoreanische Wirtschaft nach Ansicht von Experten dem Zusammenbruch nahe ist, versucht die Regierung jetzt, Touristen mit ihren Dollars, Investoren mit ihrem Kapital und Unternehmer mit ihrer Technologie ins Land zu locken.
„Es gibt sehr günstige Bedingungen, unter denen man in unserem Land ohne Bedenken investieren kann“, sagt Kim Mun Song, ein Funktionär des staatlichen Komitees für den Aufbau des Außenhandels. „Die Tür ist für jedes Land geöffnet.“ Als ausländische Besucher aber erklären, daß Nordkorea wirtschaftlich offener werden und die sorgsam gehüteten Statistiken freigeben muß, bevor ausländische Investoren das Land in Betracht ziehen, holen sie sich eine Abfuhr: „Es gibt nichts, was in diesem Land nicht transparent ist“, erwidert Herr Kim, ein staatlicher Wirtschaftsbeamter, scharf. Einige Statistiken werden aufgrund von politischen und militärischen Spannungen mit dem Süden nicht freigegeben, aber „das heißt nicht, daß sie nicht existieren oder daß wir sie verstecken“, sagt er.
Anläßlich eines großen Sportfestivals hatte die Regierung im Frühjahr Tausenden Touristen die Einreise in die sauberste, leerste und eintönigste Stadt Asiens gewährt. Unzählige auf Stechschritt gedrillte TurnerInnen paradierten da während einer Massenversammlung in einem der riesigen Stadien Pjöngjangs und sangen Lieder zu Ehren des verstorbenen Kim und seines meist unsichtbaren Sohnes Kim Jong Il. Im Hintergrund kündete eine Plakatwand von Nordkoreas fruchtbaren Feldern und blühenden Unternehmen – Mythen, die auch nach seinem Tod vor einem Jahr gepflegt werden.
„Der Große Führer hat in seinem Leben am meisten Wert auf die Automatisierung des Landes gelegt“, sagt Li Un Chut, ein Ingenieur, der in der Nationalbibliothek studiert. „Jetzt, unter der Führung unserer Partei, wird diese Automatisierung schnell weiterentwickelt.“ Das ist schwer zu glauben. Eher trostlos erscheint das verschlossene Nordkorea: ein Land, das für seine 22 Millionen Bewohner wenig Nahrungsmittelvorräte hat, unter weitverbreitetem Strommangel und einer maroden Industrie leidet und dessen fortwährend sozialistisches Engagement offenbar wenig Positives gebracht hat.
Die Landwirtschaftskooperative Chang San mit ihren 1.000 Morgen Land, südwestlich von Pjöngjang gelegen, gilt als Vorzeige-Betrieb in der kollektivierten nordkoreanischen Agrarwirtschaft. Hier wird der Anbau von Reis und Mais weiterhin staatlich hoch subventioniert. Die Bauern erhalten beinahe das zehnfache des Marktpreises. „Kim Il Sung widmete sein ganzes Leben dem Glück unseres Volkes im ganzen Land“, sagt Kim Huie Rin, ein Sprecher des 5.000-Personen-Kollektivs. „Wir haben keine Angst um Essen und Wohnung, denn dank des Großen Führers sorgt der Staat für uns.“
In dem Grenzdorf Panmunjom, das mitten auf der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea liegt, herrscht in dieser Zeit eine absichtlich gelassene Atmosphäre. Im Unterschied zu den früheren Berichten und Bildern von koreanischen Feindseligkeiten erscheint die Darstellung der nordkoreanischen Militärführer relativ nüchtern.
Tatsächlich, so betonen sie, ändert sich der Lebensstil mancher nordkoreanischer Städter. Fahrräder, die lange Zeit auf Straßen verboten waren, kommen immer mehr in Mode, zusammen mit allen möglichen Transportmitteln, außer Bussen und Dienstautos. Zunehmend verbreiten sie sich auch auf dem Land. Es gibt zudem einige Hinweise auf einen heimlichen Schwarzmarkt in Gestalt von billiger Kleidung und Plastikwaren, die aus China geschmuggelt werden.
Auch junge Fremdenführer verheimlichen den westlichen Einfluß nicht länger, der laut Beobachtern seit dem Internationalen Jugendfestival von 1989 in Pjöngjang spürbar geworden ist. Damals hörten viele nordkoreanische Jugendliche erstmals westliche Popmusik und können jetzt stolz Songs wie „My Way“ und den Hit „El Condor Pasa“ von Simon and Garfunkel wiedergeben. Ein Englisch-Übersetzer erklärt, warum er nicht in der Lage ist, von seinem monatlichen Gehalt von siebzig US-Dollar viel zu sparen – obwohl die Regierung dazu aufruft. „Ich bin ein extravaganter Mann“, sagt er schneidig, „Ich habe mit vielen Frauen Kontakt, so daß mir nicht viel Geld übrigbleibt.“
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