: Lebenslange Qual
■ betr.: „Leben hinter Mauern“ (In Niger sind viele Frauen im Haus eingeschlossen), taz vom 17. 7. 95
Liebe Bettina Meier, Deine Reportage habe ich mit Betroffenheit gelesen, da ich selbst einmal mit drei eingeschlossenen Haussa- Frauen zusammengelebt habe. Aber die waren sich im Gegensatz zu den Frauen, die Du erlebt hast, sehr wohl ihrer Situation bewußt und empfanden sie nicht im mindesten als Privileg, sondern als lebenslange Qual, über die sie sehr reflektiert sprachen. Als Rivalinnen haßten sie einander, denn sie haben ja, im Gegensatz zu der matrilinearen Form der Poligamie, keinerlei Mitspracherecht bei der Wahl der Mitehefrauen ihres Mannes oder besser gesagt, ihres Besitzers. Auch ein 16jähriges Mädchen, daß mit einem reichen 40jährigen zwangsverheiratet wurde und gleichzeitig die fünf Kinder seiner wegen Alter verstoßenen ersten Frau mitübernehmen mußte, war sich der Scheußlichkeit ihrer Situation voll bewußt.
[...] Hast Du mal über den Zusammenhang zwischen Landschaftsformen und menschlichen Lebensformen nachgedacht? In den traditionellen schwarzafrikanischen Kulturen gehörte das Land den Frauenkollektiven. Sie waren sowohl für die Erzeugung als auch die Verteilung (nach Bedürfnisprinzip statt nach patriarchalem Leistungsprinzip) zuständig. Dadurch war sowohl der Islam als auch die Gesellschaftsform der westlichen Kolonialisten so attraktiv für afrikanische Männer, da sie für sie einen deutlichen Zuwachs an Macht, Privilegien und vor allem Privatbesitz von Land und Menschen (Frauen und Kindern) bedeutete. Ist Dir nicht aufgefallen, daß dort, wo Frauen eingeschlossen werden, kaum noch Landwirtschaft betrieben wird, sondern hauptsächlich Viehzucht? Und daß die wenigen Bäume rigoros als Feuerholz benutzt werden, so daß sich die Wüste ausbreitet wie die galoppierende Schwindsucht? Und daß überall dort in Afrika, wo die Frauen stolz und gelassen mit ihrem Handel und Wandel das Straßenbild prägen, üppiges Grün und frisches Wasser zu finden ist?
Ich will Deinen informativen Bericht nicht vollständig heruntermachen, aber Dich darauf hinweisen, daß sich nirgends so gut matriarchale Lebensformen und ihre brutale Zerstörung durch das Patriarchat erkennen lassen, wie in Afrika, und wie verheerend sich letzteres auf das globale Gleichgewicht der Natur auswirkt. Würdest Du analytisch darüber berichten, gäbst Du Deinen Leserinnen die Möglichkeit, sich mit ihren afrikanischen Schwestern zu solidarisieren und von ihnen zu lernen, statt sie mit herablassendem Mitleid als empfindungslose, ignorante (aber schön geschmückte) Exotinnen zu bestaunen, die sich ohne zu leiden als Leibeigene und Nutzvieh halten lassen. Susanne Oppong, Bebra-Iba
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