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„Eine nennenswerte Haushaltspenetration“

■ Von seinem neuen Videotext verspricht sich Sat.1 bald Werbung ohne Grenzen

Wer den Sat.1-Videotext einschaltet, hat freie Auswahl. „Liebe/Glück“ offeriert ihm die Titelseite oder auch: „Spaß/Geld“. Für die Kleinen hat der Mainzer Sender Robby: „Robby und seine Freunde ziehen nachts in die Welt hinaus, um den Kindern Spielsachen zu bringen.“ Auf den ersten Seiten des Programms tun sie das noch ganz uneigennützig.

Aber dann ist auch bei Robby Spaß nicht ohne Geld zu haben: „Ich komme aus der Ravensburger Spielewelt“, enthüllt der „kleine Wicht“ – ganz wie die Undercover- Agenten in den Thrillern des Senders – erst zum Schluß.

Auch auf den anderen Seiten ihres Kinderprogramms mischen Sat.1 und „Ravensburger“ Werbung und Programm munter durcheinander: Harmlose Geschichten und Spiele enden in deutlichen Kaufaufforderungen an die Kleinen. Mal tragen die Reklameseiten ein klitzekleines „W“ an irgendeiner Stelle, mal auch nicht.

Ein klarer Verstoß gegen die Werberichtlinien für Fernsehprogramme: Sehr deutlich sind da die Vorschriften über Trennung von Programm und Werbung gehalten, ebenso jene über Werbung für Kinder. Wenn sie denn gelten. Zwar betrachten Medienrechtler Videotext durchaus als Programm, bislang jedoch hält man sich – wenn überhaupt – an die Vorgaben für Bildschirmtext. Aber auch da ist sich Peter Behrens von der zuständigen Medienanstalt in Mainz nicht sicher: „Unsere Juristen prüfen das.“ Ihre Aufgabe sahen die Mainzer Medienwächter bislang durch „sporadisches Hineinschauen“, so Behrens, erfüllt.

Selbst über die laschen Bildschirmtext-Vorschriften setzt sich Sat.1 hinweg: Das unscheinbare „W“ taucht weder im Inhaltsverzeichnis noch auf allen Werbeseiten auf. Eine „Kontrollücke“ sieht Dieter Kühn, Chef der beim Thema Werbung federführenden Sächsischen Landesmedienanstalt, beim Videotext.

Daß Medienanstalten und Gesetzgeber sich lange Zeit überhaupt nicht um das Medium Videotext gekümmert haben, verwundert angesichts der Aufbruchstimmung in der Branche. Durch die interaktiven Optionen der Decoder und Online-Dienste, an denen man fieberhaft arbeitet, erhofft man sich dort Zugriff auf Zielgruppen und Bereiche, die bisherige Werbeformen nicht ausreichend abdecken.

Der Axel-Springer-Verlag, der das Textprogramm für Sat.1 herstellt, hat soeben eine neue Software entwickelt, die dem Zuschauer ganz neue Beteiligungsmöglichkeiten verspricht – und den Werbern ganz neue Werbeformen anbietet. Springers „ITV“ ermöglicht es dem Zuschauer zum Beispiel in einer Gameshow direkt mitzuspielen, wenn parallel zum Programm der Ratetext eingeblendet wird. Verführerische Möglichkeiten zur programmbegleitenden Werbung ergeben sich da automatisch. Der attraktive Unterschied zur teuren Settop-Box (so nennt man die geplanten Interaktionsdecoder): Videotext kostet nichts und ist zudem schon überall vorhanden. „Eine nennenswerte Haushaltspenetration“, freut sich da das Werbefachblatt Horizont.

Springer und Sat.1-Videotext- Chefin Tietje beschwören die schöne neue Werbewelt: „Wenn Sie einmal in einem Spielmodus drin sind, kommen sie nicht mehr so leicht raus.“ Eine „wirksame Waffe gegen die Zapping-Quote“, hofft der Springer-Verlag.

Der technische Fortschritt rast, die Medienkontrolleure prüfen, die Medienpolitik wartet ab.

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