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Kein Platz mehr für die Mauerblümchen

Das seit 14 Jahren bestehende Rollheimerdorf am Potsdamer Platz muß wegen Baubeginn des ABB-Komplexes endgültig umziehen. Der Senat will die WagenbewohnerInnen nicht mehr in der City haben  ■ Von Silke Fokken

Der Duft von Bratkartoffeln liegt in der Luft, aus dem Fernseher tönt ein Fußballspiel, ein Mittvierziger gießt seine Sonnenblumen, auf der Gartenliege ein Kreuzworträtselfan, etwas weiter ein Freak, der an seinem Opel bastelt: geradezu spießige Feierabendidylle im Rollheimerdorf an der Köthener Straße. Noch dürfen die einstigen Mauerblümchen mitten in der City ihrer alternativen Lebenslust in den bunten Zirkus-, Bauwagen und Unimogs frönen – aber nicht mehr lange.

Den WagenbewohnerInnen ist nämlich mal wieder ein Kündigungsschreiben in ihr berädertes Haus geflattert. Diesmal scheint der Rausschmiß endgültig zu sein. Denn die Projektgesellschaft Roland Ernst, der Grundstücksbesitzer, will am Potsdamer Platz loslegen. „Roland macht Ernst“, flachst ein Rollheimer. Zum 15. August soll die Wagenburg offiziell verschwunden sein.

Die Rollheimer sind besorgt, aber auch gelassen: „Ich muß schon runter, seitdem ich hier bin“, lacht der 42jährige Günther über die unzähligen gescheiterten Kündigungs- und Umsiedlungsaktionen von Senat und Eigentümer. Er streicht sich wohlig über den rotgelockten Schnurrbart. Seit sechs Jahren wohnt er in seinem uralten, selbstausgebauten Lieferwagen mit „Raritätenwert“, Marke Büssing, Kanonenofen, Plastikklo und unzähligen Nippes.

„Ich werde der Letzte sein, der vom Platz fährt, wenn's denn schon sein muß“, sagt Günther und sieht wehmütig auf seine Sonnenblumen. Andere Rollheimer sind dagegen schon vor einiger Zeit in die zwei offiziell eingerichteten Standorte Berlins, Karow und die Wuhlheide, umgesiedelt. „Wenn es keinen annehmbaren Ersatz gibt, wie von der Senatsverwaltung versprochen, bleiben wir erstmal“, sagt der Architekt Karsten.

Mit dem Blick aufs Brandenburger Tor und dem Grün direkt vor der Tür genießen die Rollheimer ihre gemütliche grüne Insel mitten in der Großstadt schon seit 14 Jahren. „Das ist ein ganz besonderes Lebensgefühl hier“, schwärmt der 27jährige Toni, der in einem buntgepinselten Ferienwagen aus einem ehemaligem DDR-Betrieb lebt. „Wir wohnen hier wirklich wie im Dorf“, sagt die Psychologin Alice. Das bedeute auch, die Sorgen und Probleme der sozial Schwächeren gemeinsam in der Gruppe aufzufangen. „Wir kennen uns hier alle und kümmern uns um die anderen.“

Die Sozialsenatorin Ingrid Stahmer hat den WagenbewohnerInnen in der Köthener Straße ein Ausweichgrundstück zugesichert. „Die sollen uns bloß keinen Mist andrehen. Wir wollen unbedingt im Innenstadtbereich bleiben“, fordern Günther und seine NachbarInnen. Im vergangenen Jahr war den Rollheimern der Stellplatz Dreilinden in Zehlendorf vom Senat angeboten worden. „Glücklicherweise wollten die uns nicht“, sagt der Architekt Karsten. Für die Berufstätigen und die Schulkinder sei ein Standort so weit draußen unzumutbar.

Seit etwa fünf Jahren basteln und werkeln Karsten, Alice und Sohn Lukas mit Schrebergartenmentalität an den mittlerweile fünf Bauwagen, die einer Fünf-Zimmer-Luxus-Villa gleichkommen. Das Sommerwohnzimmer ist die Sitzecke draußen vor dem Küchenwagen. „Ich kann mich hier richtig austoben“, schwärmt Karsten. Als es noch keinen Stromanschluß gab, hat er ein Windrad gebaut und Solarkollektoren auf dem Wagendach befestigt. „Wir wohnen fast wie auf dem Land, aber trotzdem in der Stadt, das ist der ideale Kompromiß“, sagt die 31jährige Psychologin Alice.

Am liebsten würden die Rollheimer auf das brachliegende Reichsbahngrundstück am Anhalter Bahnhof umziehen. „Das wär optimal. Da ist trotz Tempodrom noch genug Platz“, sagt Karsten. „Das sind wertvolle Biotope“, wehrt aber die Baustadträtin Erika Romberger von Bündnis 90/Die Grünen ab. In Kreuzberg sei im vergangenen Jahr zudem ein Beschluß gefaßt worden, überhaupt keine Wagenburgen mehr zuzulassen.

Auch vom Senat gibt es seit 1990 die Entscheidung, die Rollheimer sämtlich ins Umland umzusiedeln. „Die Wagenburgen sind im Schatten der Mauer entstanden. Jetzt werden die kostbaren Innenstadtbereiche für eine andere Nutzung benötigt“, sagt Norbert Schmidt, Sprecher der Senatsinnenverwaltung. Bernd alias „Löterbernd“ bastelt im Schatten der Baukrähne eifrig an seiner neuesten Erfindung. Besonders stolz ist er auf sein erstes Patent: ein Fahrradsattel mit gesteuerter Federung, damit der Hintern nicht wehtut und keine Kraft verloren geht. Im Rollheimerdorf hat der Chemiestudent a. D. viel Platz, um rumzuexperimentieren. „Ich besitze die erste Wanne, in der man ausgestreckt liegen kann. Ich hab' einfach zwei aneinander geschweißt“, verrät der selbsternannte Lebenskünstler und Erfinder seinen Trick.

Rollheimer Günther ist sicher, daß Berlin gerade als neue Hauptstadt Wagenburgen in der City braucht. „Wir möchten nur alternative Lebensformen ausprobieren“, ereifert er sich und zupft heftiger an seinem Zöpfchen am Hinterkopf. Das Dorf sei schließlich aus der „Lust am Wagenleben“ entstanden.

„Es ist ganz schön schwierig, bei den Bezirken ein offenes Ohr zu finden, wenn es um ein Ausweichgrundstück für die Rollheimer geht“, klagt Jürgen Gehrling von der Senatsverwaltung für Soziales. Er habe sich in den vergangenen sechs Monaten ernsthaft um 26 Standorte bemüht, scheitere aber meistens am Widerstand der Bezirke. Mittlerweile habe er einige Vorschläge, die er den Rollheimern in den nächsten Tagen unterbreiten wolle.

„Die gesellschaftliche Akzeptanz ist noch nicht so da“, weiß der 45jährige Karsten. „Dabei sind wir ganz normal, fast schon spießig.“ Alice und er sind verheiratet, beide berufstätig und sie träumen von einem Geschirrspüler: „Das wär's!“

Trotzdem möchten sie auf keinen Fall wieder in eine Wohnung ziehen. „In mir steckt etwas, immer ein bißchen gegen alles zu sein. Für mich stimmt mein Leben hier einfach“, meint der Architekt. Für Alice zählt mehr die Unabhängigkeit des Wagenlebens: „Das ist mein Schneckenhaus, ein Zuhause, das ich immer mitnehmen kann.“

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