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Schluck Wasser in der Wüste

■ betr.: „Der Drang zu helfen ist eine Art des Wegschauens“ von Wolf gang Michal, taz vom 25. 7. 95

Die taz ist also nicht hoffnungslos zum „humanitären Kampfblatt“ verkommen, das zeigt der Abdruck dieses Artikels. Herzlichen Dank dem Verfasser für einen Schluck Wasser in der Wüste, den auch die Friedensforscher nicht reichen! Ihnen fallen, wie dem Lieschen Müller mit dem kühlen Kopf, das unter den Stillen im Lande so viel häufiger vorkommt als bei Intellektuellen, immer nur die Waffenlieferungen ein und wie sie zu unterbinden wären; politisch laufen sie ziemlich konform. Wie konservative Globalbetrachter und praxisgeile Jungtheoretiker beugen sie sich über diesen Krieg wie über ein betrunkenes Insekt, dann wieder rät ihnen das billigste Gefühl; so werden sie fiebernde Analytiker, und wer wie kürzlich ein bosnischer Literat das Wort Prinzip auf einer halben Zeitungsseite 24mal unterbringt (es stand in der taz), ist, sagt Freimut Duve, ein Dichter. Als ob nicht schon die Vergötzung eines einzigen Prinzips am ungesunden Ort, etwa des als Hoheitsrecht gemeinten Völkerrechts, genügte, um dem Feuer den feuerfesten Nährboden zu unterlegen!

Nichts gegen den humanitären Impuls; gäbe es ihn nicht, möchte man es unter Menschen nicht aushalten. Aber da er zum Verwechseln des Kriegs mit seinen Episoden und Bildern verleitet, bringt er die guten Leute in Gefahr, in einen Dienst verschleppt zu werden, der kein gerechter ist. Dazu Ivo Andrić, dessen Hauptwerk in Bosnien und solidarisch hierzulande unterdrückt wird: „Ich habe die tatsächlich bestehenden Beziehungen zwischen den Menschen verschiedener Konfession und Nationalität in Sarajevo ganz gut gesehen! Man wird auch weiterhin publizieren und bei jeder Gelegenheit sagen: ,Welch Glaubens immer – wir sind Brüder‘ und ,Die integrale Volksvereinigung kennt weder Unterschiede der Religion noch des Stammes.‘ Aber von jeher hat es in den bürgerlichen Kreisen Bosniens genug an klugem Betrug und Selbstbetrug mit klingenden Worten gegeben. Dies mag den Haß verdecken, aber es hindert ihn nicht daran zu wachsen. Ich fürchte, daß unter dem Deckmantel all dieser Maximen in diesen Kreisen alte Triebe und Kainspläne schlummern ...“

Zur Ehrenrettung Thomas Manns bemerke ich, daß er gewiß nie „juchzte“ und die „Betrachtungen eines Unpolitischen“ erst 1917 oder 18 veröffentlichte; da bedrückten sie ihn schon. Kriegstreiber war er nie und schon gar kein humanitärer; sondern als der Krieg da war, nahm er ihn als Lebensschicksal, das zu verarbeiten war. Schönrednerei war ihm fremd. Tatsächlich war er damals in einer Weise unpolitisch, wie politische Publizisten es sich nicht vorstellen können; weshalb sie ihn mißverstehen. Karl-Christian Spethmann, Hamburg

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