: Hoffen auf einen friedlichen Ausgang
■ Vor dem heute stattfindenden kurdischen Trauermarsch versuchen alle Seiten, eine Konfrontation zwischen Demonstranten und Polizei zu vermeiden / Werden die Symbole der verbotenen PKK geduldet?
Nervosität und Ratlosigkeit vor dem heutigen Trauermarsch für die beim Hungerstreik gestorbene Kurdin Gülnaz Baghistani. Wird die genehmigte Großdemonstration, zu der die Veranstalter 40.000 Teilnehmer erwarten, friedlich bleiben? „Ich bin skeptisch“, erklärte gestern Ismail Koșan, ausländerpolitischer Sprecher der bündnisgrünen Fraktion und selbst Kurde. Die Stimmung unter den Hungerstreikenden, die nach dem Verbot ihre Aktion in den Räumen des deutsch-kurdischen Vereinszentrum Navca-Kurd in Kreuzberg fortsetzen, sei „sehr, sehr explosiv“. Was passiert, wenn die Polizei gegen Symbole und Fahnen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK einschreitet? Um Vermittlung zwischen Hungerstreikenden und Polizei war in den letzten Tagen vor allem die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John (CDU), bemüht. Beide Seiten, so ihr Eindruck, seien um „Zurückhaltung bemüht“. Sie könne „nur hoffen, daß das eingehalten wird“. Offen ist, wie die anreisenden Kurden sich verhalten werden.
Für eine Berliner Linie
Daß auf der Demonstration, die heute um elf Uhr am Blücherplatz in Kreuzberg beginnt, auch „entsprechende Symbole eine Rolle spielen werden, wird wohl niemanden überraschen und aufregen“, meint John: „Das weiß auch die Polizei.“ Man sei bemüht, eine „Berliner Linie zu schaffen“. Konkret heißt das für die CDU-Politikerin: „Umsichtiges Verhalten und Gesprächsbereitschaft auf beiden Seiten, sich nicht leichtfertig auf Provokationen einlassen, die Folgen des eigenen Handelns stets bedenkend.“ So versuchte gestern auch Ismail Koșan in Gesprächen mit den Veranstaltern, die Teilnahme der 300 zum Teil geschwächten Hungerstreikenden zu verhindern. „Wenn jemand umkippt, könnte die beabsichtigte friedliche Stimmung schnell umschlagen“, befürchtet er. Der Hungerstreik, so Koșans Überzeugung, sei mit dem Tod der 41jährigen Gülnaz Baghistani „kontraproduktiv geworden“. Mit seinem Plädoyer für gewaltlosen Widerstand hat sich der Abgeordnete unter vielen kurdischen Gruppen viele Feinde gemacht. Es sei schwierig, vielen Kurden zu vermitteln, daß ihr Anliegen „gerade in der demokratischen deutschen Öffentlichkeit nur mit demokratischen Mitteln“ erreicht werden könne: „Wenn ich das sage, sind viele böse.“ Mit Entsetzen registrierte Koșan beim Besuch des Kreuzberger Vereinszentrums Navca Kurd, wo die Tote letzte Woche aufgebahrt wurde, die „Rufe nach Rache“. Männer und Frauen hätten die in Berlin aufgewachsenen kurdischen Jugendlichen aufgefordert, „zum Kämpfen in ihre Heimat zu gehen“. „Das sind“, beschreibt Koșan sein Unbehagen, „für mich mittlerweile Fremdwörter geworden. Rache – an wem denn bitte schön?“
Zurückhaltend
Unsicher reagieren die türkischen Organisationen. Stellungnahmen zum Hungerstreik will man tunlichst vermeiden. Typisch ist das Verhalten des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (TBB). Den mühsam erreichten Konsens – der TBB besteht aus 22 Einzelorganisationen – will der Verein nicht aufs Spiel setzen. Ausdrücklich schreibe, so TBB-Sprecher Safter Cinar, daher auch die Vereinssatzung vor, sich „jeden Äußerungen zu innertürkischen Angelegenheiten zu enthalten“. Sorge machen Cinar die Folgen der Anschlagsserie gegen türkische Einrichtungen in Westdeutschland. Eine „sachliche Diskussion über das eigentliche Problem“ werde dadurch zwischen den Türken und Kurden „beinahe unmöglich“ gemacht. Der gemäßigte kurdische Dachverband „Komkar“ unterstützt den Hungerstreik. Das sei „eine legitime Widerstandsform“, meint deren Sprecher Hasan Yildiz. Der Hungerstreik sei ein „Akt der Verzweiflung“. Daß die Tote zu einer Märtyrerin hochstilisiert wird, hält Yildiz für ein typisches Phänomen aller Widerstandsorganisationen. Komkar selbst wolle dies weder „ablehnen noch bejahen“. Auch der Sprecher der Kurdistan-AG des AStA der FU, Siamend Hajo, will das Märtyrertum nicht auf eine Taktik der PKK reduziert wissen. Dies sei in der kurdischen Tradition weit verbreitet. Daß die Polizei beim heutigen Trauermarsch auf jeden Fall gegen PKK-Symbole einschreiten könnte, hält er für unangebracht. Hajo erinnert an die diesjährige Großdemonstration in Bonn: Trotz eines „Meeres von PKK- Fahnen“ sei die Polizei nicht eingeschritten. Severin Weiland/Zonya Dengi
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