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Ein „Nein“ aus Salat

In der Wetterau verhindern AckerbesetzerInnen die Aussaat von genmanipuliertem Mais und Raps. Gemeinde und Bevölkerung unterstützen sie, der Bauer nicht  ■ Aus Wölfersheim Heide Platen

Gertrud Amrein kommt gegen Mittag auf den Acker gehumpelt. Der rechte Fuß ist geschwollen. Sie läßt sich auf einen Strohballen sinken und legt die malträtierte Extremität hoch: „Mein Gockel hat mich getreten.“ Lahmgelegt hat das Federvieh die grüne Kreispolitikerin nicht. Zwei Hektar hessische Scholle in der Gemeinde Wölfersheim, Gemarkung „Im Mörsfeld“, Flur 13, sind seit Juni von der Schüler- und Studenteninitiative „Die Wühlmäuse“ besetzt. Amrein packt ihre Taschen aus, Ordner mit Presseberichten, das Protokoll einer Landtagsdebatte, jede Menge Mineralwasser und stört die behäbige Mittagsruhe im „Camp gegen den Gen-GAU“ mit ungebrochenem Tatendrang.

Besitzer des nun zwangsweise brachliegenden Ackers zwischen abgeernteten Weizen- und duftenden Rosenfeldern ist der Milchbauer Gottfried Glöckner. Er hat das Gelände für drei Jahre an die Tochterfirma des Chemiekonzerns Hoechst-Schering, AgrEvo, verpachtet. Die AgrEvo, eines der drei größten Unternehmen im sogenannten Pflanzenschutz weltweit, wollte hier mit Genehmigung des Robert-Koch-Instituts genmanipulierten Mais und Raps aussäen. Die Hoechst-Schering-Tochter ist unter Zeitdruck, weil das konzerneigene Patent für das Unkrautvernichtungsmittel „Basta“ ausläuft. Ein neues Produkt, ein Super-Basta, muß her. Der Freilandversuch mit Mais und Raps soll klären, ob die Kunstgewächse dem Gift gewachsen sind. Und dann müssen die Bauern zum chemischen Unkrautvernichter das genmanipulierte Saatgut gleich dazu kaufen, das allein dem Gift standhält.

Doch für die 1.008 Maispflanzen ist es in Wölfersheim nun zu spät. Der Winterraps müßte zum August in die Erde. Auf der aber sitzen die BesetzerInnen und haben ein deutliches „NO“ in Glöckners Furchen ausgesät und wachsen lassen: Salat, Kohl und unmanipulierter Raps sind zur üppig wuchernden Verweigerung verschlungen. Daß der Bauer deshalb manchmal „einfach einen Ausraster kriegt“, hört sich aus dem Mund des Diplom-Argraringenieurs Martin Krämer fast beschönigend an. Immerhin hat er das cholerische Temperament des Ackerbesitzers am eigenen Leib erfahren.

Als die BesetzerInnen Schilder auf dem benachbarten Weizenfeld aufstellten, auf denen sie vor dem Einsatz von Landmaschinen warnten: „Vorsicht, Eisenstangen!“, war ein solcher „Ausraster“ fällig. Glöckner riß die Stangen aus dem Acker und haute Krämer eine davon um die Ohren. Was indes Krämer nicht hinderte, weiter das Gespräch „von Landwirt zu Landwirt“ zu suchen. Sein Kontrahent jedoch habe am Ende erklärt, er würde, wenn ihm ein Besetzer vor den Traktor käme, ganz bestimmt „Gas geben“. Krämer dagegen ist, mit sanfter Stimme, Lockenkopf, rundlich-freundlichem Gesicht und blanken Augen hinter der Nickelbrille geradezu ein Prototyp der Gewaltfreiheit. Wenn er nicht gerade einen Acker besetzt, dann bestellt er bei Kassel seinen eigenen Biohof. Er zieht Kräutertee und schwärmt von dessen Duft und beruhigender Wirkung.

Währenddessen liest Monika Rhein, Sprecherin des Bündnisses für eine gentechnikfreie Landwirtschaft, laut vor, was den CDU-Abgeordneten im Wiesbadener Landtag alles eingefallen ist, um SPD und Grüne der Technikfeindlichkeit zu zeihen. CDU-Chef Koch wetterte etwas wirr gegen jene, „die in der Bevölkerung Mißtrauen säen“ und „diejenigen unterstützen, die Felder besetzen und den Samen wieder ausgraben wollen“. Rhein ihrerseits besetzt Felder, weil die Folgen der Genmanupulation für die Umwelt völlig unerforscht sind: „Wir wissen, daß wir nichts wissen.“

Die BesetzerInnen haben inzwischen jede Wetterlage hinter sich, von Regenfällen, die Lehmboden, Zelte und Schlafsäcke durchweichten, Sturm und Hagel bis zu glutheißer Sonne auf baumloser Furche. Alles Notwendige muß mit dem Auto herangeschafft werden. Letzteres erregt Glöckners Gemüt besonders. Das produziere, verkündete er, umweltschädliches Ozon. Leicht entnervt hat ihm Amrein gesagt, daß sie, „wenn er den Unsinn läßt“, auch lieber zu Hause bleiben würde.

Inzwischen ist das Küchenzelt, das bei Regen und Sturm fortgeflogen war, wieder aufgebaut und – geordnet sei das Lagerleben – mit stabilen Regalen ausgestattet, auf denen Körnerbrot, einheimische Walnüsse und Fruchtmarmeladen aufgereiht sind. Auch die Technisierung ist fortgeschritten. Solarzellen erzeugen den Strom, der, abwechselnd, Fax und Videokamera betreibt — ersteres für die Post, letzteres zum Dokumentieren einer vorerst nicht erwarteten Räumung. Eine solche hatte Bauer Glöckner schon einmal in eigener Regie versucht. Er fuhr, und das muß ein besonders heftiger Ausraster gewesen sein, mit Traktor und Frontlader auf das Feld und versuchte, die auf Holzpaletten sitzblockierenden BesetzerInnen hochzuheben und fortzuschieben. Amrein: „Das war lebensgefährlich.“ Die benachbarten Biobauern und der Demeter-Hof finden den Genversuch existenzgefährdend. Schließlich kann der Genraps seine Eigenschaften, genverändertes „Vermehrungsmaterial“, auf andere Kreuzblütler wie Kohl, Radieschen, Kresse, Wiesenschaumkraut, Hederich und wilden Raps übertragen. Das hatte auch das Robert-Koch-Institut bestätigt und lakonisch kommentiert: „Die Tatsache, daß gentechnisch veränderte Organismen in die Umwelt gelangen, liegt im Wesen der Freisetzung.“ Götz Wollinsky hat seinen Hof gerade erst vom Vater übernommen und von konventionellen auf biologischen Anbau umgestellt. Als jüngster Sohn war er dafür nicht vorgesehen, doch die Brüder hatten abgewinkt. Er zieht vor allem Obst: Kirschen, Pflaumen, Aprikosen und Beeren. Gemeinsam mit seinem Kollegen Erhard Schwalm, der Gemüse anbaut, versorgt Wollinsky auch das Camp auf Glöckners Feld.

Zu den Verbündeten der BesetzerInnen gehört auch Landrat Rolf Gnadl (SPD). Er spendierte den „Wühlmäusen“, „natürlich als Privatmann“, Wurst, Wecken und Wein. Als Dienstherr der Polizei ging er von behördlicher „Zurückhaltung“ gegen die Landnehmer aus und, wiederum als Privatmann, hält „ein Stück zivilen Ungehorsams“ in diesem besonderen Fall für durchaus angemessen. Solche Rechtsauffassung ist AgrEvo- Sprecher Gerhard Waitz ein Greuel. Er machte sich kirchliche Befriedungsstrategien zu eigen und suchte „Konsensinseln“. Dabei verlor er aber trotz ständiger Präzenz vor Ort immer mehr an Boden und Contenance. Mitte Juni geriet er im Besetzerzelt mit Landrat Gnadl aneinander, den er als „Dienstherr der Polizei“ gänzlich einschreitungsunwillig und der Beförderung der „Anarchie“ verdächtig fand.

Die Sonne brennt glühend auf den Acker. Unter dem Zeltdach ist es Zeit für Geschichten. Von anderen Landbesetzungen zum Beispiel. Martin Krämer hat ein mit „Basta“ besprühtes Versuchsfeld in Rheinland-Pfalz gesehen: „Eine öde, verkrustete Schlammwüste, auf der das totgespritzte Unkraut schwimmt“. In den USA haben die „Freisetzungen“ mit den legendären, frostfesten Erdbeeren 1987 begonnen, sind immer wieder zerstört und schließlich aufgegeben worden. Es gibt Widerstanderfahrungen, gute und schlechte, aus der Schweiz und den Niederlanden: „Wir sind international vernetzt.“ Zu gerne hören die BesetzerInnen von den gescheiterten Versuchen in Bayern. Dort knickten Maispflanzen, von unsichtbarer Hand angeritzt, einfach um, statt zu wachsen. Das habe, rechnete die Betreiberfirma unfreiwillig komisch vor, pro Pflanze den Riesenschaden von 3.300 Mark bedeutet.

Von solchermaßen vergoldetem Mais bekäme Bauer Glöckner jedoch nur karge Silberlinge zu sehen. Die Gerüchte darüber, was er als Jahressalär von der AgrEvo bekommt, reichen von 900 bis höchstens 1.200 Mark. Glöckner schweigt sich aus und lehnte ein höheres Angebot der Besetzer ab.

Die Wetterauer, sagt Gertrud Amrein, liegen ihr sehr: „Sie sind wie schweres Gerät, etwas langsam beim Anlaufen. Aber wenn, dann laufen sie sehr zuverlässig.“ Inzwischen ist Glöckner bei vielen Wölfersheimern in Ungnade gefallen. Er schade dem Ruf der Region und sei, trotz der durchaus in die Landschaft passenden Sturheit, „ja nur eingeheiratet und gar kein Einheimischer“. Über 15.000 EinwenderInnen haben gegen den Genversuch unterschrieben.

Der wichtigste Garant dafür, daß der Mais nicht rechtzeitig in den Boden kam und der Raps auch zur Augustaussaat nicht dorthin gelangen wird, ist aber die Gemeinde Wölfersheim. Als Anrainerin des Testackers verweigert sie standhaft ihre Unterschrift unter den Genversuch. Juristisch kaum angreifbar und bauernschlau macht die Gemeinde geltend, daß sie als Inhaberin des Wegerechts und damit auch der dort wachsenden Pflanzen von der AgrEvo als betroffene Anliegerin gar nicht erst gefragt worden sei.

Eine Chronik der Besetzung wird gerade von drei Wölfersheimer BürgerInnen zusammengestellt, die sich auch von der schwarzen Fahne auf dem Acker nicht irritieren lassen. „Wir sind hier eben“, hatte Besetzer Axel das der AgrEvo verhaßte Tuch erklärt, „sehr viele junge Leute.“ Anderswo seien „mehr Erwachsene“ dabei: „Aber wir haben das inzwischen auch ganz professionell hingekriegt.“ Die Gemeinderäte der angrenzenden Orte Reichelsheim und Florstadt sind nun auch gegen das Versuchsfeld. Und der Kongreß „ge GEN — Für gentechnikfreie Landwirtschaft“ wird Ende September im sieben Kilometer entfernten Friedberg stattfinden.

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