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Autonome Wildschweininvasion

■ Deeskalationskonzept der Polzei erfolgreich / Anwohner beklagen Sachbeschädigung / Die Jagdbehörde verspricht: Wildschweine werden von den Unterstützern isoliert

Von den Autonomen lernen heißt siegen lernen. Ihre Strategie, sich mit der Polizei ein Katz-und- Maus-Spiel zu liefern, bei dem sie angreifen, sich zurückziehen und wieder angreifen, erfreut sich inzwischen auch bei den Berliner Wildschweinen wachsender Beliebheit.

„Seit drei Uhr morgens überquerten die Schweine immer wieder die Fahrbahn am Spandauer Damm, liefen in den Wald und kamen wieder zurück“, teilte ein Polizeipressesprecher mit. Aber die Behörden reagierten schnell: „Schweine im Straßenverkehr bedeuten immer Gefahr im Verzug. Laut Allgemeinem Sicherheits- und Ordnungsgesetz fällt das in die Zuständigkeit der Polizei“, so Joachim Kassebohm, Leiter der Arbeitsgruppe Pflanzenschutz, Forst- und Jagdwesen der Oberjagdbehörde. Die Berliner Ordnungshüter schritten ein und griffen erneut auf die in letzter Zeit bewährte Deeskalationsstrategie zurück. Schußwaffen kamen nicht zum Einsatz. „Wir werden nicht rumballern und Wilder Westen spielen“, betonte auch ein Mitarbeiter des Forstamts Grunewald. Statt dessen habe man „die Tiere zwischenzeitlich in den Ruhwaldpark verbracht und dort verköstigt“, teilte der Polizeipressesprecher mit. Erkennungsdienstliche Maßnahmen wurden nicht eingeleitet. Sehr zum Ärger der Wildschweinopfer, die die Schweine einer Liste von Straftaten bezichtigen: Hausfriedensbruch, Diebstahl, Sachbeschädigung, Nötigung.

„Es ist eine regelrechte Plage“, meint ein Arzt, der in der besonders betroffenen Eichkampsiedlung in Charlottenburg wohnt. „Die Wildschweine drücken die Zäune nieder oder biegen Drahtzäune von unten nach oben auf. Komposthaufen, Gemüsebeete, Fallobst, alles wird durchwühlt und aufgefressen“, so einer der Geschädigten.

Seine Nachbarn hatten nach einem nächtlichen Überfall das Gefühl, auf einem frischgepflügten Acker zu stehen. „Dem standen die Tränen in den Augen. Jetzt bauen sie einen schwer überwindbaren Holzzaun um den Garten“, beschreibt er die Sicherheitsvorkehrungen in seiner Umgebung. Auch vor Körperverletzung machen die Wildschweine nicht halt. „Ein Kollege hat mir erzählt, daß er schon Wildschweinbisse behandelt hat“, berichtet der Arzt.

Um sich vor solchen Überfällen zu schützen, rät Wildschweinexperte Kassebohm: „Alles vermeiden, was als Aggression oder Feigheit gewertet werden könnte.“ Weglaufen habe sowieso keinen Zweck, da die Wildschweine Spitzengeschwindigkeiten bis zu 60 Stundenkilometern erreichen. Jede hastige Bewegung solle vermieden werden. „Laut schreien oder singen hilft“, weiß Experte Kassebohm. Allerdings keine sozialistischen Kampflieder, denn an die dürften die älteren Tiere gewöhnt sein. Die Schweine kommen nämlich alle aus dem roten Brandenburg in die Hauptstadt. Zumindest meint das ein Wildschweingastronom aus dem Grunewald.

Die Gefahren veranlassen nun auch die Behörden zum Eingreifen. Die Devise der Oberjagdbehörde lautet: Die Schweine von den Unterstützern isolieren. „Wir werden jetzt eine Kampagne gegen das Füttern der Wildschweine starten“, verspricht Fachmann Kassebohm. Gesa Schulz

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