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Rüdigers Weltmaschine Von Johannes Kiehl

Mein Freund Rüdiger weiß immer als erster, was läuft. Mir wäre das zu anstrengend. Als ich mir meinen ersten Computer kaufte, entrang sich Rüdiger nur ein mattes Lächeln. „Ich hab's hinter mir, weißt du“, sagte er mitleidig, „ein Weilchen war's ganz spannend, aber man muß wissen, wann eine Sache ausgereizt ist.“ Rüdiger hatte als erster in unserer Stadt eine Internet-Adresse und ein D-Netz-Telefon. Von all dem will er heute nichts mehr wissen.

Seine jüngste Leidenschaft ist der Weltmusik-Synthesizer. Wenn die Rede darauf kommt (und das tut sie eigentlich ständig, wenn Rüdiger in der Nähe ist), tritt ein leidenschaftliches Leuchten in seine Augen. Er öffnet die Riemen seiner College-Tasche, entnimmt ihr ein flaches Gerät aus unansehnlichem braunen Plastik und reicht es herum. „Könnt ihr das glauben“, fragt er begeistert, „daß da zweihundert Klänge aus den entlegensten Ecken unseres Planeten drinstecken?“ Er senkt diskret die Stimme, keiner soll ihn für einen Angeber halten: „Acht Megabyte Samples im ROM!“ Und die Umstehenden pflegen in höflichem Unglauben die Köpfe zu schütteln.

Und dann führt er das Maschinchen vor – vorausgesetzt, daß ein Computer oder ein Keyboard in der Nähe steht. Das Ding hat nämlich keine eigene Klaviatur. Mein Freund wird zum Regisseur seines ganz privaten Welttheaters. Auf der Bühne erscheinen einige Sansaspieler aus Simbabwe („ein in ganz Afrika verbreitetes Zupfidophon“, doziert Rüdiger) und produzieren einen dieser vertrackt- verzahnten und doch ganz cool dahertröpfelnden Rhythmen. Ein Herr mit Turban stellt sich hinter einem Ensemble bauchiger und röhrenförmig geschnittener Trommeln auf („Spielarten der TablÛ sind im ganzen indisch-persisch- arabischen Raum bekannt“, weiß Rüdiger) und stimmt ein, wobei er frech den Akzent verschiebt. Auftritt einer Musette-Spielerin, eben aus Paris angekommen, mit einer in Moll dahinschmelzenden Kanzone; Arm in Arm mit ihr (Moruroa scheint für den Moment vergessen) brummelt ein australischer Ureinwohner auf einem Didgeridoo.

Ein indonesischer Gamelan- Virtuose bedient Saron, Bonang und Kenong gleichzeitig, als wär's ein Klacks, gleich neben ihm spielt ein Japaner in Nadelstreifen auf der Koto-Zither. Ein Israeli stößt die T'Kia gedola in sein Schofar, ein Syrer bläst die heisere NÛy-Flöte, Argentinier rasseln die Maracas, Schotten dudeln Sack, Tennessee- Cowboys trommeln Maul, Kubaner schlagen die Batas. Rüdiger läßt seine virtuellen Musiker in einem weltumspannenden Versöhnungskonzert jammen, daß die Unesco wahrscheinlich ihre helle Freude dran hätte.

Ich gesteh's, es hat mir imponiert, was da so rauskommt aus dieser brown box. Rüdiger hat bestimmt ganz schön schuften müssen, bis er die Spielweisen all der exotischen Instrumente ein bißchen parodieren konnte. Ein antiker Meergott zweiter Garnitur hat für Rüdigers Neuerwerbung seinen Namen geliehen: Als „Proteus/3 World“ wird das Ding verkauft. Wieso, alte Lateiner? Schon der Grieche Menelaos ist ganz schön ins Schwitzen gekommen, bis sich Proteus ein paar Töne entlocken ließ. Der Held mußte sich nämlich erst ein Meerkalbs-Kostüm schneidern, bevor der scheue greise Gott ihm was vorträllerte.

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