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Wenn neues Gas durch alte Rohre strömt

Im Frühjahr wird in Berlin das gesamte Netz auf Erdgas umgestellt sein. Im Ostteil gibt es bereits überall Erdgas, aber viele Leitungen sind undicht. Allein in Friedrichshain wurde in 1.000 Haushalten der Gashahn zugedreht.  ■ Von Matthias Fink

Der Countdown für das Stadtgas läuft. In Westdeutschland ist die Versorgung schon seit Jahren auf Erdgas umgestellt, vor einigen Monaten beendete Leipzig als letzte ostdeutsche Großstadt den Systemwechsel. Berlin ist noch nicht ganz soweit. Noch bis zum April kommenden Jahres produziert das letzte Gaswerk in Mariendorf.

Im Frühjahr wird die Umstellung der Privathaushalte auf Erdgas abgeschlossen sein. Sie begann erst 1991. Erdgas aus Sibirien wird allerdings schon seit 1985 nach West-Berlin geliefert. Für die Geräte, die noch nicht umgestellt sind, muß es zuvor in den Gaswerken zu Stadtgas verarbeitet werden.

Ein Grund für die Verzögerung war die nötige Sanierung des Leitungsnetzes. Zusätzliche Hürden ergaben sich durch die Vorgabe der Alliierten, einen Gasspeicher für Krisenzeiten im Grunewald zu bauen. Der aus Umweltgründen umstrittene Speicher lohnt sich für die Gasag. „Wir können im Sommer das Gas günstiger einkaufen und dann im Winter in das Netz einspeisen“, erläutert Gasag-Pressesprecher Dieter Ludwig. In Störungsfällen könne das Reservoir für ganz Berlin genutzt werden.

In Rudow erreicht die über Böhmen herankommende Leitung Westberliner Gebiet. Dort wurden 1985 die ersten Herde und Thermen umgestellt. Seitdem folgen schrittweise alle Westberliner Bezirke, den Abschluß wird im Frühjahr Zehlendorf bilden.

Jedes Gebiet ist einmal mit der „Umstellungswoche“ an der Reihe. Montags werden alle Gasgeräte in den Haushalten außer Betrieb genommen und die Hauptleitungen durch „Abschieberung“ gesperrt. Dann werden die Verbindungen zu den benachbarten Leitungen geöffnet, die schon Erdgas führen. Bis zum Donnerstag sind dann meistens alle Geräte in den Häusern auf die neue Brennweise umgestellt und – mit einem Aufkleber markiert – wieder freigegeben.

Bezahlt wird die Umstellung in der Regel von der Gasag – wenn die Geräte nicht zu alt sind. Herde oder Thermen, für die es keine Ersatzteile mehr gibt, sind von der Umstellung ausgeschlossen. Ebenfalls auszumustern sind die – nach Ludwigs Angaben im Westen nur noch seltenen – Herde ohne spezielle Zündsicherung.

Gilt die Auswechselung der Geräte als „Ersatzbeschaffung“, trägt die Kosten der Vermieter. Als „Modernisierungskosten“ können sie hingegen auf die Mieten aufgeschlagen werden. Katrin Belal- Steisinger von der Berliner Mieter- Gemeinschaft berichtet, daß die Gerichte diese Abgrenzung unterschiedlich vornehmen: „Wer rechtsschutzversichert ist, sollte es auf eine Klage ankommen lassen.“

Auf lange Sicht machen sich die neuen Geräte bezahlt, da Erdgas ergiebiger ist als Stadtgas. Der Brennwert ist 2,3mal so hoch, so Ludwig. Die jüngste Westberliner Gaspreissenkung vom April sei auf die Umstellung zurückzuführen. Mit dem schnelleren Durchlauf des Erdgases können bei gleichbleibendem Rohrsystem mehr KundInnen versorgt werden. So erreiche man „beispielsweise Leute, die vorher mit festen Brennstoffen geheizt haben“, betont Ludwig.

Der höhere Druck, mit dem das Erdgas durch die Rohre getrieben wird, erfordert jedoch eine Sanierung. Die alten Muffendichtungen an den Verbindungsstellen zwischen zwei Rohren können durch den höheren Druck undicht werden. Dies wiegt um so schwerer, als schon das Erdgas den Hanf in den Dichtungen leichter austrocknen läßt als das feuchtere Stadtgas.

Während für andere Leitungsarbeiten der gesamte BürgerInnensteig aufgerissen wird, verläuft die Sanierung der Gasrohre nicht so augenfällig. Abgedichtet werden die Verbindungsstücke (Muffen) mit einem Isolierungsschlauch auf der Innenwand der Rohre. „Wie ein umgekrempelter Strumpf wird der Kunststoff reingeschoben“, sagt Gasag-Sprecher Ludwig. Zur Einführung der Schläuche und zur Kontrolle der Arbeiten werden dann kleine „Kopflöcher“ von der Erdoberfläche zum Rohr gebohrt.

In Ostberlin wurde die Gasumstellung bereits 1990 abgeschlossen. Die Sanierung der Leitungen dagegen blieb zweitrangig. Deshalb kam es zu Schäden durch undichte Verbindungsstellen. Die Folgen sind absterbende Straßenbäume – oder eilige Gassperrungen in den Wohnhäusern.

„In den Häusern, die wir verwalten, sind zur Zeit 1.000 Haushalte von Gassperrungen betroffen“, berichtet Birgit Stötzer, Pressesprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF). „Vergangenes Jahr haben wir insgesamt 8 Millionen Mark für Reparaturen an Gasleitungen ausgegeben. Dieses Jahr werden es wohl genausoviel werden.“ Im Bezirk Prenzlauer Berg vergibt die Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg (WIP) die Arbeiten auch an Firmen aus dem märkischen Umland. „Die Berliner Firmen sind durch die vielen Vorfälle überlastet“, sagt Pressesprecherin Kerstin Maria Kunitz.

Normalerweise dauert es drei bis vier Wochen, bis die Rohre ausgetauscht sind und das Gas wieder eingeschaltet werden kann. Langwieriger wird es jedoch, wenn die berüchtigten „ungeklärten Eigentumsverhältnisse“ die Finanzierung erschweren. Leidtragende sind die MieterInnen – auch wenn sie natürlich die Miete mindern können. Für die gaslose Zeit erhalten die betroffenen Mieter Elektrogeräte, die Herde und Heizungen ersetzen sollen. „Zum Glück haben viele noch Ofenheizungen“, weiß Kunitz.

Den Anstoß für die Gassperrungen im Haus geben nicht nur die Fälle, in denen BewohnerInnen verdächtigen Gasgeruch bemerken. Oft beginnt es mit der Sanierung des Netzes in der Straße. Wenn diese Arbeiten abgeschlossen sind und der Hausanschluß wieder geöffnet werden soll, nimmt die Gasag eine Drucküberprüfung vor. Oft zeigt sich bei der strengen Kontrolle, daß zwar die neue Straßenleitung, nicht jedoch das anschließende Rohrnetz im Haus dicht ist. Dann wird dort gesperrt.

Knut Beyer von der Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung (Asum) glaubt, daß die Sperrung der Straßenleitung Schäden im Haus vergrößert. „Wird die Gaszufuhr gekappt, trocknen die Muffen in den Leitungen aus und werden undicht.“ Die Gasag hingegen geht davon aus, daß die Schäden in den Hausleitungen schon älter seien. Akute Explosionsgefahr bedeute dies in der Regel nicht. Doch „Sicherheit steht bei uns an erster Stelle“, begründet Pressesprecher Dieter Ludwig das schnelle Absperren von Leitungen, die vorher niemanden beunruhigt haben.

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