■ Ökolumne: Von Kunst und Handwerk Von Nicola Liebert
Es gibt die schöne Kunst, L'art pour l'art, und die angewandte Kunst, die man auf gut deutsch meist Design heißt. Und dann gibt es noch das Kunsthandwerk, das weder das eine ist noch das andere. Kunsthandwerk, das ist ein Gegenstand, der nicht mal dem Anspruch nach als individuelle Kunst durchgeht noch den Gebrauchswert des Handwerklichen aufweist. Massenware, aber (mehr oder weniger) handgefertigt. Nicht nützlich, aber dafür original aus Mexiko. Oder Thailand. Notfalls aus dem Katalog, da erfüllt es einen guten Zweck: Handel statt Hilfe.
Ein emanzipatorischer und grundvernünftiger Ansatz – welche Konsumentin, welcher Konsument könnte da widerstehen, ohne Gewissensqualen zu erleiden. Nein, eigentlich brauche ich keine aus einem Holzstück mit brutal bunten Acrylfarben angefertigte Papageienimitation (nur 11,90 Mark das Stück im Eine-Welt-Versandhandel). Aber ich kann doch nicht so hartherzig sein und meine armen Schwestern in Mindanao in dem von gutherzigen Hilfe-durch-Handel- HelferInnen eingerichteten Betrieb ihres bitter benötigten Einkommens berauben!
Also her mit den Holzviechern, gleich einen ganzen Schwarm davon, da muß ich jetzt durch. Irgendwann müssen dann entfernte Bekannte von mir da durch, wenn ich ihnen die Dinger mangels besserer Ideen zur Wohnungseinweihung schenke (Ihr seid hiermit gewarnt). Auf den Philippinen aber wird die Frauenemanzipation sowie die Eingliederung in den Weltmarkt, die wir auch dem letzten Ureinwohnerdorf so sehnlichst wünschen, nicht mehr aufzuhalten sein.
Basteln gegen den Hunger! Spitzenklöppeln für die Freiheit! Wer Stoffe mit Holzstempeln mühselig bedruckt und Tag und Nacht zu luftig-duftigen Blusen zusammennäht, dem reicht es bald gar für ein T-Shirt für die Kinder aus deutscher Altkleidersammlung – jedenfalls wenn bei uns das 70er-Jahre-Revival mit Indienklamotten noch ein Weilchen anhält.
Ich habe eigentlich gar keine Lust mehr, die Siebziger ein zweites Mal zu durchleben, aber da muß ich jetzt, wie gesagt, durch. Ade, du anarchistisch- schwarze, aber leider imperialistische Jeans made in Thailand, du mußt einem wadenlangen bunten Rock made in Bangladesh weichen. (Wenigstens haben wir die Sache mit den fusseligen braunen Alpaca-Pullis mit den Lamas drauf ausgestanden. Die bolivianischen Strickerinnen werden schon was anderes finden, um ihre Kinder durchzufüttern. Da müssen die jetzt durch und ein bißchen Verständnis aufbringen für uns, die wir mit der Mode zu gehen wissen.)
Jedesmal, wenn sich mein Mitbewohner beklagt, daß er vor lauter politically correctem Nippes in den Regalen nicht mehr an seine Bücher kommt (Elefanten-Buchstützen mit erhobenem Rüssel aus Indien, mit hängendem Rüssel aus Kenia), und wenn ihm wieder eine von diesen irre solidarischen, aber leider für westliche Küchen komplett ungeeigneten Kalebassen mit dem ganzen Salat umgekippt ist, muß ich ihn mahnend an die Prinzipien des fairen Welthandels erinnern. Was kann ich schließlich dafür, wenn diese Inder nicht selbst mehr Specksteinelefanten kaufen?
Und schließlich, erkläre ich ihm, gilt es, all diese hoffnungsvollen Künstler in der unterdrückten Dritten Welt zu unterstützen, diese südafrikanischen Bildhauer beispielsweise, die aus echtem Ebenholz kunstvoll-naive Figuren schnitzen – ein bißchen klischeehaft mit ihren Plattnasen und Wulstlippen, geb' ich ja zu. Schade eigentlich, daß sich haargenau dieselben „typischen“ Figuren den Touristen auch in Senegal oder Kenia als Originalkunst aufdrängen. Hunderte junger Männer, die hoffen, Künstler zu werden, wissen genau, daß sie erst einmal keine andere Chance haben, als solch alberne Massenware für den vermuteten Geschmack der geldbesitzenden Weißen herzustellen. Schade eigentlich, aber was kann ich dafür?
Gibt es deutsches Kunsthandwerk? Schon, aber die Kuckucksuhren der hiesigen Eingeborenen und die Hummel-Porzellanfigürchen (igitt, wie kitschig!), die kaufen wir natürlich nicht. Kunsthandwerk, das muß von fernen, wilden Ländern, von durch Zivilisation unverdorbenen Menschen stammen. Herrlich ungeschlacht muß es deshalb gearbeitet sein, denn so wollen wir sie schließlich haben, die exotische Dritte Welt.
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