: Abschiebung in die Fremde
■ Berliner Gesichter: Die palästinensische Familie Chahrour kämpft gegen die drohende Abschiebung ihres Sohnes Kamel / Seit 20 Jahren in Deutschland
„Wenn ich in den sechs Monaten, in denen ich in der Kruppstraße gesessen habe, etwas gelernt habe, dann das: Nur wer sich ständig zur Wehr setzt, bekommt die Minimalrechte, die ihm im Abschiebeknast zustehen.“ Wenn Kamel Chahrour sich an diese Zeit erinnert, kann er nur mühsam seine Wut unterdrücken.
„Ich habe bestimmt keine weiße Weste. Ich habe sehr viele Straftaten begangen, aber meine Strafe dafür habe ich abgesessen“, sagt der zweiundzwanzigjährige Palästinenser. Zweimal saß Kamel im Jugendknast Plötzensee wegen Diebstahl und Drogenbesitz. Während seiner zweiten Haftstrafe kümmerte sich ein Sozialarbeiter für ihn um einen Job beim Gartenbauamt. Gleich nach der Entlassung im August vergangenen Jahres hätte Kamel dort anfangen sollen. Aber es kam anders. Er wurde direkt aus der Jugendstrafanstalt in die Kruppstraße verlegt. „Die Plötze kam mir im Vergleich zur Kruppstraße wie das Kempinski vor“, sagt Kamel im nachhinein. Aber er hatte eine wichtige Regel schnell gelernt: Wenn ihm seine Rechte vom Personal verwehrt wurden, drohte er mit dem Anwalt oder Dienstaufsichtsbeschwerden. Schließlich beteiligte er sich mit rund zwanzig anderen Abschiebegefangenen an einem Hungerstreik. „Unsere Forderung war, daß wir entweder freigelassen oder abgeschoben werden“, erzählt Kamel.
Die Abschiebung des Palästinsers ist faktisch jedoch nicht möglich. Da Kamel, der vor zwanzig Jahren mit seiner Familie aus dem Libanon nach Deutschland kam, keinen Paß hat, wird er in keinem Staat aufgenommen werden. Das scheint die deutsche Bürokratie wenig zu stören: Der Palästinser wurde aus der Kruppstraße entlassen und bekam eine Ausreisefrist bis zum 9. Juli, obwohl er nachweisen konnte, daß er keinen libanesischen Paß bekommen wird. Für ihn heißt das, ein Leben in ständiger Angst zu führen. „Wenn ich auf der Straße mit diesem Ausreisedokument kontrolliert werde, komme ich sofort wieder in den Abschiebeknast“, sagt der Zweiundzwanzigjährige. „Ich kenne keinen einzigen Menschen im Libanon. Außerdem wurde mein Bruder dort erschossen“, wehrt er sich gegen die drohende Abschiebung.
Auch seine Familie leidet unter der Situation. „Meine Mutter macht kein Auge zu, wenn Kamel nicht zu Hause ist“, erzählt Kamels Schwester Hana. Sie hat den Bruder mit der Mutter zusammen fast täglich in der Kruppstraße besucht. Für eine halbe Stunde Besuchszeit mußten sie häufig vier bis fünf Stunden Wartezeit opfern. „Dann wurde Kamel viel zu spät in den Besuchsraum gebracht, und uns blieben nur noch zehn Minuten“, erinnert sie sich.
Beim Warten lernten die beiden Frauen die Initiative gegen Abschiebehaft kennen und beschlossen, sich dort zu engagieren. „Ich wollte eigentlich nie politisch arbeiten. Aber wenn man selber von etwas betroffen ist, sieht es anders aus“, sagt die Neunzehnjährige. Während ihr Bruder im Hungerstreik war, sprach Hana mit Mitgliedern des Abgeordnetenhauses, reichte Petitionen ein. „Aber die einflußreichen Parteien ändern nichts. Die einzigen, die wirklich etwas tun wollten, sind die Grünen, und denen fehlt die Macht“, sagt sie resigniert.
In der Kruppstraße führten Mutter und Tochter nebenbei ihren täglichen Kleinkrieg mit dem Personal. „Wenn die uns beleidigt haben, habe ich mir die Dienstnummer geben lassen und denen mit dem Anwalt gedroht“, erzählt die junge Frau. „Aber die wenigsten konnten sich gegen die Willkür dort wehren, weil sie nicht gut genug deutsch sprechen“, weiß die Zahnarzthelferin. Im Beisein ihres Bruders ist es schwer vorstellbar, daß sie so engagiert gekämpft hat. Die Rollenverteilung ist klar: Kamel redet, Hana und ihre Mutter halten sich zurück. Nur einmal geht Sania Chahrour aus sich heraus. Als deutsche Staatsangehörige ist sie, wie fast alle Mitglieder der Großfamilie, wahlberechtigt. Verbittert sagt sie: „CDU und SPD bekommen keine einzige Stimme mehr von uns.“ Gesa Schulz
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