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„Polizei völlig planlos“

Hannover-Chaostage: Hundertschaften verhindern Punkertreffen, provozieren aber Jugendkrawall  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Es läuft alles in allem ein bißchen wenig“, klagt der 19jährige Jens mit dem halbhohen knallroten Irokesenkamm. „Es sollte eine Riesenfete werden, und nun hängen wir hier zusammen rum“, meint der junge Berliner Punk. Hier um die Lutherkirche in Hannovers Nordstadt sitzen an diesem Samstag abend wie Jens vielleicht dreihundert Jugendliche in Grüppchen auf den Straßen, nutzen die von der Polizei über den Stadteil verhängte Verkehrsberuhigung für ein mitternächtliches Bier im Freien – die Punks sind deutlich in der Minderheit.

Gelaufen ist hier in den vergangenen Tagen eingentlich genug, zumindest die Fernsehteams haben ihre Bilder im Kasten: Hundert Meter weiter ragen die zerstörten Gitter des „Penny-Markts“ auf den Bürgersteig, den eine Gruppe Punks am frühen Samstag morgen martialisch mit einem Holzbalken als Rammbock aufgebrochen hat. Bei der Plünderung haben sich dann auch Anwohner des mitnichten noblen Stadtteils bedient. Auf der anderen Straßenseite an dem Platz vor dem ehemals besetzten Sprengelgelände, wo längst nur noch Mieter wohnen, haben die in die Nordstadt getriebenen Chaostag-Punker immer neu ihre letzte Trutzburg aus Barrikaden errichtet – schließlich geht kein Punk freiwillig in Polizeigewahrsam. Hier kulminierten die Schlachten, bei denen die Polizei trotz Räumgerät und Wasserwerfer keineswegs stets die Oberhand hatte.

Mehrmals warfen ganze Polizeigruppen Steine und Flaschen einfach zurück, was selbst Polizeisprecher Horst Kastens mit einem „Der Sachverhalt ist mir bekannt“ bestätigt.

Zumindest die in dieser lauen Nacht an der Lutherkirche lagernden Punker haben sich unter Chaostagen etwas anderes vorgestellt als fortlaufende, völlig chaotische Polizeieinsätze: „Wir wollten eine Fete in der Innenstadt“, sagt Jens, der rotharrige Berliner, „ich finde es nicht gut, daß sich alle gleich aus der Innenstadt haben vetreiben lassen.“

Das allgemeine Innenstadtverbot für Bunthaarige hat die Polizei schon am Donnerstag verhängt: der erste Anlaß für Randale. Bis zum Samstag ist den Punks nicht nur der Ort der Fete, sondern sind auch viele Musiker abhanden gekommen, die eigentlich von Kleinlastern herab in der Stadt spielen wollten. „Ich hab' den Gitarristen unserer Berliner ,Terror-Gruppe‘ getroffen“, sagt Jens. „Der ist der einzige aus der Band, der noch nicht im Knast ist.“

Ab Freitag gilt ein generelles Punker-Verbot

Ab Freitag gilt für ganz Hannover ein Punker-Aufenthaltsverbot. Insgesamt 1.090 Punks hat die Polizei in diesen Tagen in der Stadt „abgegriffen“ und in Gewahrsam genommen, dazu noch 220 als Verdächtige von Straftaten inhaftiert. Sicherheit und Ordnung lassen sich so allerdings nicht herstellen. Auch am Ende sind noch einige tausend nun meist ziemlich saure Jugendliche in der Nordstadt, in den Parks an der Uni oder auch im Stadteil Linden unterwegs. Viele sehen nicht wie Punker aus, rechnen sich aber plötzlich dazu.

Während in den Parks und in Linden schon die Jagden laufen, die Steine und Flaschen fliegen, bleibt es hier in der Nordstadt noch ruhig. Das ist auch den Deeskalationsgesprächen zu verdanken, die Stadtteilinitiativen, eine Grünen- Ratsfrau und vor allem Sprengel- Bewohner am Nachmittag mit dem Einsatzleiter Uwe Wiedemann geführt haben: Jetzt ist die Polizei nur um den Stadtteil präsent, hat ihn abgeriegelt, läßt niemanden mehr hinein, der nicht Anwohner ist.

Grünen-Ratsfrau Helga Nowak, in einer Gruppe von Anwohnern etwas abseits an der Lutherkirche, konstatiert: „Eine völlig planlose Aktion der Polizei – die wollen alles abfegen, fühlen sich stark, und die Punks meinen das auch. Manche könnten da einfach die Uniformen tauschen.“ Ein anderer Anwohner, Mitte vierzig, einst aus Vukovar hier eingewandert, gibt „Polizei und Punks genauso die Schuld“ an dem Zoff.

Sonntag nacht, ein Uhr: Plötzlich fährt ein Dutzend Polizeibullis um die Ecke an der Kirche. Behelmte springen heraus. Weit hinter dem Sprengelgelände fahren zwei Wasserwerfer auf, es geht um die Barrikaden, die wieder dort gebaut sind. Ohne Vorwarnung heißt es: Wasser marsch! Ohne Vorwarnung räumt vor der Lutherkirche eine Polizistenkette die Straße. Da wird kein Unterschied zwischen Freund und Feind mehr gemacht. Ob Punk oder Anwohner, jeder muß rennen. Flaschen und Steine hageln in Richtung Polizei. Blitzschnell füllen sich die angrenzenden Straßen mit Jugendlichen aus den umliegenden Häusern. Immigrantenkinder bewaffen sich genauso wie ihre deutschen Altersgenossen mit Schottersteinen, selbst dreißig-, vierzigjährige Anwohner machen bei dem Wechselspiel von Flucht und Steinhagel auf die Polizei kräftig mit. Die viertägige Belagerung soll heimgezahlt werden. Die hannoversche Polizei hat eine Punkerfete verhindert und zumindest hier in der Nordstadt einen allgemeinen Jugendkrawall zuwege gebracht. Später, in der Nacht zum Sonntag, haben dann tatsächlich noch einige hundert Punker ein Fest gefeiert: zusammen mit den Kleingärtnern nahe den Parks, in die sich die Punks nächtens in den Büschen verkrochen haben.

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