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„Es ist Druck ausgeübt worden“

■ Der kroatische Verleger Nenad Popović über die Flucht aus der Krajina und die Inszenierung der serbischen Opferlegende

taz: Die kroatische Regierung hat die Serben aufgefordert, in der Krajina zu bleiben, fast alle sind jedoch geflohen. Wie bewerten Sie das?

Nenad Popović: Die Tatsache, daß bereits in Westslawonien im Mai und nun in der Krajina die kroatischen Truppen in leere Gebiete vorstoßen, ist die größte Überraschung in diesem Krieg. Seit 1990 war der serbische Aufstand damit begründet, daß Serben seit Jahrhunderten in diesen Gebieten leben und keine andere Verwaltung als die eigene dulden wollen. Die historischen und ethnischen Rechte dort seien in Gefahr. Nun sehen wir, daß alle weggegangen sind. Es macht mir ein klammes Gefühl zu sehen, daß sie alles haben stehen und liegen lassen.

Hat die serbische Bevölkerung Angst gehabt, umgebracht zu werden wie im Zweiten Weltkrieg?

Dieser Exodus ist der Hysterie zu verdanken, die durch die Führer geschürt worden ist. Die „Serbische Republik Krajina“ war eine Manipulation, denn sie wurde durch einen Aufstand der Polizei und nicht des Volkes errichtet. Nach den ersten freien Wahlen 1990 hieß es, die Zeit der Ustascha sei angebrochen. Man kann zur kroatischen Regierung stehen wie man will, aber Kroatien ist kein faschistischer Staat. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, daß es nicht Leute gegeben hat, die sich dieser Ideologie gegenüber ablehnend verhalten haben. Es muß also auch Druck ausgeübt worden sein. Es handelt sich um eine „umgekehrte ethnische Säuberung“, damit erbringen die Führer den Nachweis, daß sie doch recht hatten.

Sie haben einmal vom „serbischen Opfermythos“ gesprochen. Hat das Ganze die Dimension des Auszugs der Israeliten aus Ägypten?

In der Tat existiert unter Serben ein größeres Zusammengehörigkeitsgefühl als unter Kroaten, Muslimen oder Albanern. Die Stärke volkstümlicher Paradigmen, von Mythen also, ist ausgeprägt. Als der Krieg 1991 begann, sind am Vortag eines Angriffs alle Serben eines gemischten Dorfes verschwunden. Am nächsten Tag schoß die Artillerie, nur selten hatten Serben ihre Nachbarn und Freunde gewarnt. Die Manipulation der serbischen Gemeinschaft ist sehr weitgehend, sie erinnert an die von Sekten, man schottet sich gegenüber der Realität ab.

In vielen Gesellschaften zerbricht das Zusammengehörigkeitsgefühl, wenn die eigenen Interessen betroffen sind.

Die radikale serbische Ideologie lebt von Untergangs- und Opfermythen. Es werden die historischen Niederlagen gefeiert, wie die auf dem Amselfeld 1389 gegen die Türken. In der neueren Geschichte wird das nationale Verhältnis zu Kroaten und Muslimen praktisch nur aus der Verfolgung durch den Faschismus heraus definiert. Aus der Opfermythologie entstehen die Vergeltungswünsche. Was wir jetzt erleben, ist eine postmoderne Simulation der historischen Erfahrung durch eine verantwortungslose Führungsschicht, die sich damit selbst legitimieren will. Die Niederlage wird geradezu inzeniert. Das Resultat dieser Inzenierung, dieser Geschichtsklitterung in Großformat, paßt sich ein in den Mythos. Und der Mythos wird für die Bevölkerung zur Realität. Es ist eine Tragödie. Der Mythos reproduziert sich selbst.

Interview: Erich Rathfelder

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