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„Volkszorn“ bei IG Farben

Tumulte auf der Hauptversammlung / Bund soll Mittel für Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen zur Verfügung stellen  ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt

„Halt das Maul!“, „Honecker- Knecht!“, „Raus mit dem Kommunisten!“ Eduard Bernhard (70), kritischer Aktionär und Vorstandsmitglied im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), wurde auf der Hauptversammlung der IG Farben schon zehn Minuten nach Veranstaltungsbeginn von den Hardlinern unter den rund 300 anwesenden AktionärInnen niedergemacht. Dabei hatte Bernhard in einem Antrag zur Geschäftsordnung lediglich die Zulassung von Funk und Fernsehen auf der Aktionärsversammlung in Frankfurt am Main gefordert.

Der Vorsitzende des Aufsichtsrates der IG Farben in Abwicklung, der Bremer Rechtsanwalt Ernst C. Krienke, der Bernhard zuvor als „Dummschwätzer“ verunglimpft hatte, ließ dem ausbrechenden „Volkszorn“ genüßlich freien Lauf. Als dann noch mit Stimmrecht ausgestattete Jugendliche im Saal aufstanden und skandierten: „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt!“, schlug die Stunde der Skins der von den Liquidatoren der IG Farben bestellten Wachmannschaft.

Die DemonstrantInnen wurden mit Gewalt aus dem Saal gedrängt. Und ein bekennender Rechtsradikaler mit IG-Farben-Aktien, der Helge Schneider zum verwechseln ähnlich sieht, brüllte den „Störern“ (Krienke) noch das böse Wort: „Nestbeschmutzer!“ nach. Das Niveau bei den Hauptversammlungen der IG Farben hat sich offenbar endgültig auf Stammtischebene stabilisiert.

Die Nerven lagen blank bei den Aufsichtsräten und bei den beiden Liquidatoren Ernst-Joachim Bartels und Günter Vollmann. Schon vor dem Avance-Hotel am Rhein- Main-Flughafen waren die AktionärInnen von rund 50 DemonstrantInnen der Aktion „Nie wieder!“ empfangen worden: „Schluß mit dem Blutaktienhandel — ZwangsarbeiterInnen sofort entschädigen.“

An den von den kritischen AktionärInnen dann auf der Aktionärsversammlung eingebrachten Anträgen auf Entschädigung für die wenigen noch lebenden Überlebenden aus dem konzerneigenen KZ Auschwitz III (Monowitz) kamen die Liquidatoren, die auf die Zahlung von 27 Millionen DM an die Jewish Claims Conferenz im Jahre 1957 verwiesen, gestern nicht mehr vorbei.

Aufsichtsrat und Liquidatoren schlugen den Aktionären die Annahme eines Antrags des Aktionärs Swen Lorenz vor. Dieser sieht vor, die Opfer im Rahmen eines „Versöhnungsprozesses“ zu entschädigen und die IG Farben endgültig zu liquidieren. Die Mittel dafür soll der Bund zur Verfügung stellen: als Ausgleichszahlungen für die enteigneten Besitztümer und Grundstücke der IG Farben in der Ex-DDR. Peter Gingold von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) bescheinigte Lorenz zwar „beste Absichten“. Doch eine solche Regelung belaste einseitig die SteuerzahlerInnen und entlasse die Nachfolgekonzerne der IG Farben, Bayer, Hoechst und BASF, aus der Verantwortung. Zudem befürchtet Gingold, daß durch eine solche Lösung die Auszahlung von Entschädigungssummen an die Ex-Zwangsarbeiter Innen bis zum Sankt- Nimmerleinstag verschleppt werden.

In seinem Rechenschaftsbericht hatte Aufsichtsratschef Krienke darauf hingewiesen, daß die IG Farben i. A. bereits zu drei Viertel liquidiert sei. Die Firma besitze noch genau 30 Millionen DM. Und die würden noch gebraucht, um Ansprüche abzuwehren und eigene Ansprüche (Ostvermögen) einzuklagen. Der vor elf Monaten als „Ostexperte“ in den Aufsichtsrat geholte Ex-Bundesverkehsminister Günther Krause hat sich gestern von der IG Farben bereits wieder verabschiedet, um ungebundener an einer neuen politischen Karriere basteln zu können, wie Krienke süffisant anmerkte.

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