Onkel Max und die Blödmänner

■ Im Jungen Theater: Der Bremer Tom Waits, Marc Scheibe, in „Das neue Kleid kriegst trotzdem Du“, eine Sommer-Revue nach Texten von Max Goldt und Friedhelm Kändler

Alle lieben Onkel Max. Denn Onkel Max spricht die Wahrheit, und er spricht sie gelassen aus. Wenn Onkel Max in die Kneipe geht, dann sieht er dort all die „Blödmänner und Blödfrauen“, die, weizenbiertrinkend, nichts als dummes Zeug austauschen: „Alle haben dieselbe Meinung und dieselben Ideen, da sie alle die gleiche Zeitung lesen.“ Aber Onkel Max ist kein Misanthrop. Der freundliche Spott seiner Satiren ist es, den Maxens Freundinnen und Freunde lieben, wenn sie die „Onkel Max“-Kolumne in ihrer „Titanic“ lesen. Nun soll die populäre Glosse auch im Theater ihren Charme versprühen.

Das „Junge Theater“ hat um Max Goldts Texte eine luftige „Sommer-Revue mit Musik“ gestrickt, Titel: „Das neue Kleid kriegst trotzdem du“. Maxens trockene Anekdoten in dramatischer Form? Der Alltag als Bühnenspektakel? Der besorgte Max-Verehrer sieht schon Entgleisungen und Verbiegungen aller Art vor Augen – aber nein: Max wirkt hier gar nicht platt; mit vielen geistreichen bis albernen Ideen gelingt es der Revue, den Glossen sogar ganz neue Reize zu entlocken.

Das gelingt vor allem dort, wo die drei Akteurinnen und Akteure erst gar nicht versuchen, den lakonischen Tonfall der Glossen zu imitieren. Maxens Vorliebe für gepflegte Füße und besonders Fußnägel ist ja ein schönes Beispiel dafür, wie vermeintlich nichtswürdige Themen in höhere, ja: poetische Sphären gehoben werden können. Auf der Bühne würde das kaum funktionieren. So hat man sich für was ganz anderes entschieden: Regisseurin Nomena Struß inszeniert die Anekdote als Krimi. In schönster film-noir-Manier erzählt hier ein Killer, natürlich in Trench und Gangsterhut, wie er sich beim Morden vor allem vor den ungepflegten Mauken des Opfers gruselt. Hornhaut, Schrammen, eingewachsene Nägel – „daß Mutter da so nachlässig war! Es gibt doch heute so viele Mittel.“

Nicht immer lassen sich die Texte so kunstreich umtopfen. Wenn sich die Erzählerin über o.g. „Blödmänner und Blödfrauen“ echauffiert, dann wird dem Publikum die ironische Note der Glosse allzu deutlich vorgehampelt. Onkel Max rudert für gewöhnlich nicht mit den Armen, wenn er über die Schlechtigkeiten der Welt schwadroniert; hier aber muß sich die Schauspielerin, wenn sie sich über die „bekloppten Religionen“ der Welt ereifert, mit der flachen Hand vor den Kopp kloppen.

Aber solche Peinlichkeiten sind selten. Im Nummernprogramm überwiegen die doppelbödigen Momente. Dazu trägt das Ensemble bei (Margot Müller, Friederike Füllgrabe und Lutz Gajewski), wenn sie den Großteil des Abends mit überdrehter Fröhlichkeit agieren, da können die Alltagskatastrophen noch so dicke kommen. Dazu tragen die Texte von Friedhelm Kändler bei, die sich mit Goldts Glossen abwechseln: fein gesponnene Gedichte, in denen die Sprache die Wirklichkeit nicht überlagert, sondern zum Vorschein bringt.

Maßgeblich trägt vor allem die Musike dazu bei, daß die Revue so richtig schön herumkollert, auf traumwandlerischem Schlingerkurs zwischen Sommerlust und Alltagsfrust. Für diesen Job ist der Bremer Pianist Marc Scheibe genau der Richtige. Mit verqualmten blue notes untermalt er noch die sonnigsten Textpassagen des Abends, bringt die absurden Alltagsszenen auf eine nochmal extraschiefe Ebene.

Scheibe selbst ist einer jener Charaktere, an denen sich Onkel Max ergötzen würde: Fettpeitsche, unrasiert, in ein alles überstrahlendes, knallgelbes Oberhemd gekleidet, unter dem die schweißnasse Brust funkelt – die ganze Öligkeit eines gescheiterten Entertainers trifft sich hier mit der selbstironischen Gestik eines Groucho Marx. Gebrochene Akkorde und gebrochene Typen – das ist zwar ein abgenudeltes Klavierspielerklischee, und tatsächlich lugt Tom Waits ein paar Mal verstohlen um die Ecke. Aber dann bringt Scheibe, unverhofft und als die Dichtkunst gerade mal zu ernst zu werden droht, seine satanische Version von „Komm' unter meine Decke“ – und die ganze, farbenprächtige Schmierigkeit des alten Trucker-Hits wird vor unseren Ohren entfaltet. Der Sommerhit des Bremer Herbsts.

Thomas Wolff

Nächste Vorstellungen: bis 13.8., 16. bis 20.8., jeweils um 20.30 Uhr; Junges Theater, Friesenstr. 16-18