: Mehr Arbeitsplätze, aber 85-Stunden-Woche
■ Die Vor- und Nachteile von Thatchers Ladenschluß-Reform in Großbritannien
Die völlige Freigabe der Ladenschlußzeiten in Großbritannien ist ein Erbe Margaret Thatchers. Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre wurde durch eine Reihe von Gesetzesänderungen die alte Beschränkung der werktäglichen Öffnungszeiten von 9 bis 18 Uhr aufgehoben und auch das sonntägliche Einkaufen zwischen 10 und 16 Uhr erlaubt. Ergebnis: Schlossen noch vor zehn Jahren viele Läden um 17.30 Uhr, können die Briten heute mindestens bis 20 oder 22 Uhr in ihren Läden shoppen, zuweilen sogar rund um die Uhr.
Nicht zufällig, aber in anderem Zusammenhang, hat sich auch das Lebensmittelangebot verbessert. Die alte Tradition des englischen Protestantismus, der gutes Essen als Läßlichkeit und Völlerei und damit als eine der sieben Todsünden betrachtet, befindet sich auf dem Rückzug.
Dem britischen Einzelhandel hat die Liberalisierung genützt: Heute sind acht der zehn profitabelsten Einzelhandelsunternehmen in Europa britisch. Die Zahl der Beschäftigten im Einzelhandel stieg zwischen 1980 und 1990 um 100.000, die durchschnittliche Wochenarbeitszeit sank auf mittlerweile 38 Stunden.
Die Schattenseite der thatcheristischen Reform: Die Arbeitsplätze im Einzelhandel sind extrem schlecht bezahlt – mit einem Stundenlohn zwischen fünf und zehn Mark – ein Kündigungsschutz existiert in der Praxis kaum.
Die Freigabe der Ladenschlußzeiten hat aber nicht, wie befürchtet, die Konzentration verschärft: Die Zahl der sogenannten „single- store outlets“ – also der Tante-Emma-Läden – ist zwischen 1980 und 1990 von 198.000 auf 215.000 sogar leicht gestiegen, ihr Gesamtumsatz hat sich nahezu verdoppelt.
Dahinter versteckt sich aber eine grundlegende Verschiebung: Viele traditionelle Familienbetriebe in den Stadtzentren sind verschwunden, da sie mit den größeren Läden nicht mehr mithalten konnten. Stark angewachsen ist dagegen die Zahl der kleinen „Corner-Shops“, die vielerorts in britischen Wohnvierteln die Straßenecken zieren, bis spät in die Nacht geöffnet haben und heute oft von Asiaten betrieben werden. Sie bedienen den nachbarschaftlichen Kleinbedarf, während die großen Einkaufszentren und zentralen Läden vor allem für den Großeinkauf mit dem Auto konzipiert sind.
Allerdings überleben die Corner-Shops nur dank einer extremen Selbstausbeutung: 19 Prozent der asiatischen Einzelhändler arbeiten 85 Stunden die Woche. Dominic Johnson
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