: Vor ein paar Warlords in die Knie gehen?
■ betr.: „Bosnische Konsequenz“ (Fischer-Brief), taz vom 2. 8. 95
[...] Nun hat Joschka Fischer in einem Brief an Fraktion und Partei erneut die militärische Option in die Diskussion gebracht, was ihm sicher wieder viele Anfeindungen bringen wird. Meines Erachtens hat er in seinem Brief aber sehr sensibel und realistisch argumentiert.
Wir Grünen müssen es aushalten können, wenn es in dieser Frage keinen innerparteilichen Konsens geben kann. Mir ist es völlig gleichgültig, wenn Fischer für diese Position Anerkennung und Lob von seiten der SPD bekommt. In der Frage des militärischen Eingreifens in Bosnien geht es nicht um irgendwelche zukünftigen Koalitionen in Bonn oder anderswo oder um ganz persönliche Eitelkeiten irgendwelcher PolitikerInnen. Es geht hierbei um Menschen, die vertrieben, ermordet, gefoltert oder vergewaltigt werden und sich von der übrigen Welt im Stich gelassen fühlen. Stefan Kunze, Ludwigsburg
Als Grüner und ehemals Friedensbewegter begrüße ich den Vorstoß Joschka Fischers, der unsere Partei in Anbetracht des bosnischen Infernos zu einem Umdenken und zu einer Revision ihrer außenpolitischen Programmatik aufgefordert hat. [...]
Die Grünen haben als mittlerweile drittstärkste politische Kraft in Deutschland die Pflicht, sich über das Entwickeln bestenfalls langfristig wirksamer außenpolitischer Strategien hinaus auch an der Suche nach einer Antwort auf die konkrete Frage zu beteiligen, wie weitere Zehntausende von Menschen, die in Bosnien aktuell von Tod und Verschleppung bedroht sind, geschützt werden können. Auch wenn sich in unserer Partei – hoffentlich – mehrheitlich die Erkenntnis durchsetzt, daß in Extremsituationen zur Rettung von Menschenleben und zur Durchsetzung der Menschenrechte auch militärische Gewalt angewandt werden muß, bleiben wir dennoch eine prinzipiell pazifistische Partei, die sich ihren antimilitaristischen Traditionen verpflichtet weiß und die wie keine Partei gewaltfreie Konfliktregelungen propagiert. Wenn radikaler Pazifismus aber als situationsunabhängiges und unabänderliches Dogma begriffen wird, spielt er letztendlich Massenmördern wie Karadžić und Milošević in die Hände, die ihre nationalistischen Wahnideen dann vor den Augen einer untätigen Gemeinschaft ungestört und ungestraft in die Tat umsetzen können. [...] Stefan Scholer, München
Die Grundlage für Menschenrechte ist die Demokratie, und die Grundlage der Demokratie ist, unter anderem das Gewaltmonopol. Wollen wir in Zukunft womöglich erst in weiter Zukunft, Konflikte gewaltfrei lösen, dann brauchen wir Institutionen, die in der Lage sind, Recht zu vollziehen, Recht umzusetzen. Allererste, wenn auch zaghafte Ansätze einer solchen, sehr langfristigen Entwicklung, sehen wir in Bosnien: Die UNO garantiert das Überleben der Moslems in den Schutzzonen, das allein ist schon ein perverser Begriff. Um wieviel schlimmer ist die Lage erst, wenn diese Garantie nicht durchgesetzt wird, wie bisher geschehen?
Die Weltgemeinschaft kann nicht vor ein paar Warlords in die Knie gehen, die die „eigene“ Bevölkerung ausplündern und unterdrücken und die Moslems mit ethnischen Säuberungen ausrotten wollen. Zukünftige Friedenspolitik wird auf die Schaffung von demokratisch legitimierten Gewaltmonopolen hinauslaufen müssen, will sie glaubhaft und, ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Faktor, wirksam sein. Dazu gehört auch, in letzter Konsequenz, Militär zur Durchsetzung einer solchen Politik, auch wenn es uns nicht gefällt. Wir haben die Tatsache zu akzeptieren, daß die serbischen Warlords unser Parteiprogramm bisher nicht sonderlich beeindruckend fanden. Vielleicht sollte der Westen die faschistoiden Warlords nun damit zu beeindrucken versuchen, daß es menschliche und politische Positionen gibt, die nicht aufgegeben und zur Not auch militärisch verteidigt werden. Vielleicht erkennen dann auch diese Herrschaften, daß es für sie nur eine Chance gibt: Verhandeln. [...] Stefan Laurin, Bündnis 90/
Grüne, Sprecher OV Gladbeck
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