„Jeder Arzt begeht Körperverletzung“

■ Gegen bundesweiten Protest will Bremen das Zwangsröntgen von Asylbewerbern fortsetzen.

Die bei jugendlichen Asylbewerbern erzwungenen Röntgenuntersuchungen, mit denen die Bremer Staatsanwaltschaft in den Mittelpunkt bundesweiter Kritik gestoßen ist (s.taz vom 11.8.), sollen demnächst im Zentralkrankenhaus Sankt-Jürgen-Straße wieder aufgenommen werden. Das teilte der leitende Oberstaatsanwalt Frischmuth auf Anfrage der taz gestern mit.

Die Röntgenuntersuchungen wurden über etwa neun Monate bei Jugendlichen, vorwiegend Schwarzafrikanern durchgeführt. Die Polizei hatte sie verdächtigt, eine falsche Altersangabe gemacht zu haben. Auch am Frankfurter Flughafen bediente man sich dieser Praxis, stellte die Röntgenuntersuchungen aber vor wenigen Wochen ein. Grund: Übereinstimmend bezeugen medizinische Fachgutachten, daß Röntgenuntersuchungen ein absolut ungeeignetes Mittel zur Altersfeststellung sind. Ebenso wie die Bundesärztekammer riet der deutsche Ärztetag zur Aufgabe dieser Untersuchungsmethode. Die Hamburger Ärztekammer klassifizierte die erzwungenen Röntgenaufnahmen unmißverständlich als „Körperverletzung“ und rief die ÄrztInnen zur Verweigerung auf.

Auf Bestreben der ehemalige Gesundheitssenatorin Irmgard Gaertner kam es in Bremen zu einem ein Einvernehmen zwischen der Behörde und dem Chefarzt des ZKH Sankt-Jürgen-Straße: Seit Juni lehnte Professor Freyschmidt die richterlich angeordneten Röntgen-Aufträge ab. Jetzt aber, sagt der leitende Oberstaatsanwalt, habe man den Professor umgestimmt: „Wir haben darauf bestanden, und er macht das wohl auch wieder“.

Daß der Röntgen-Check bundesweit von der Ärzteschaft geächtet wurde, kann Jan Frischmuth nicht beirren. „Keine Bedenken“, kontert er selbst den den Vorwurf der Körperverletzung. „Ein Arzt begeht immer eine Körperverletzung, nur ist die gerechtfertigt.“ Die Rechtfertigung zu einem körperlichen Eingriff sei in der Regel durch den therapeutischen Nutzen gegeben oder aber, wie im vorliegenden Fall, durch eine richterliche Anordnung.

Die bisherigen Untersuchungen hatten sämtlichst dasselbe Ergebnis. Zehn Jugendlichen wurde nach dem Röntgen ein Alter von „mindestens 18 Jahren“ bescheinigt. Gegen vier von ihnen, und dieses Vorgehen ist bundesweit einmalig, wurde daraufhin Anklage erhoben wegen schwerer mittelbarer Falschbeurkundung in Tateinheit mit Betrug. Den Asylbewerbern droht somit eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Der Vorwurf aber, die Angeklagten hätten sich über eine falsche Altersangabe Vorteile erschleichen wollen, wird von Bremer RechtsanwältInnen als absurd bezeichnet: Jugendliche erhalten weder einen Vorzug beim Asylverfahren, noch bei der Unterbringung, noch genießen sie finanzielle Vorteile.

Davon aber ist Jan Frischmuth überzeugt, auch wenn er „gestehen muß, kein Fachmann“ zu sein. Er ist sicher, daß ein jugendlicher Asylsuchender „teurer ist als ein normaler“. Selbst die Entscheidung eines Jugendrichters, der die Eröffnung des ersten „Betrugs“-Verfahrens ablehnte, weil es schlichtweg keine Vermögensvorteile gab, die der Angeklagte sich hätte erschleichen können, kann den Oberstaatsanwalt nicht umstimmen.

Während das Justizressort gestern keine Stellungnahme abgeben wollte, zeigte man sich im Sozialressort schockiert über die Haltung von Frischmuth, verwies jedoch auf ein bereits geplantes Gespräch zwischen den Ressorts für Inneres, Gesundheit und Justiz, das nach der Sommerpause stattfinden soll. Gesundheitssenatorin Tine Wischer wird sich dabei für das Aufgeben der umstrittenen Röntgen-Untersuchungen starkmachen.

Auch die Bremer Ärztekammer wird sich auf ihrer nächsten Sitzung im September mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Die dort stark vertretene „Liste Gesundheit“ wird beantragen, analog zu Hamburg das Zwangsröntgen als Körperverletzung zu ächten.

dah