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Ihr Besitz: Bettelschale und Schermesser

Die buddhistische Nonne, Priesterin und Lehrmeisterin Man-Cheh baut seit drei Jahren im Bezirk Tegel ein buddhistisches Zentrum auf. Hunderte von Gläubigen feiern in diesen Tagen eines der höchsten taiwanesischen Tempelfeste  ■ Von Constanze von Bullion

Der schwere, ockerfarbene Stoff ihres Gewandes raschelt, als sie sich setzt. Aus den weiten Ärmeln tauchen sekundenlang zwei schneeweiße, zarte Hände auf, legen sich vor der Stirn zum Gruß zusammen und verschwinden wieder. Mit ihrem kahlgeschorenen, von vier kreisrunden Narben gezeichneten Kopf wirkt sie zerbrechlich wie ein Kind. Ihr Alter kennt keiner genau. „Vielleicht um die Vierzig“, schätzt der Dolmetscher. Niemand käme auf die Idee, sie danach zu fragen. Erst ihr breites Lachen löst die befangene Stimmung. Sie strahlt Gelassenheit aus. Venerable Man-Cheh ist buddhistische Nonne, taiwanische Priesterin und Lehrmeisterin der Gemeinde Berliner Buddhisten.

„Zu uns kann jeder kommen, egal aus welchem Land oder welcher Religion“, sagt Cheng-Kuo Ting. Der freundliche Mann mit dem breiten Gesicht, im weltlichen Leben Betreiber eines Wilmersdorfer Chinarestaurants, ist Vorsitzender des Internationalen Buddhistischen Kulturvereins Deutschland. Vor einem knappen Jahr wurde das Zentrum in Tegel eingeweiht. Hinter der glatten Betonfassade, die nur ein goldener chinesischer Schriftzug ziert, treffen sich etwa 150 eingetragene Mitglieder regelmäßig zu religiösen Feiern und Meditationen. Hier studieren sie Deutsch und Chinesische Kalligraphie, betreuen Familien und Exilanten, üben sich in Selbstverteidigung oder Schattenboxen. Doch auch für Nichtmitglieder des Vereins steht die Tür immer offen. „Bei großen Festen“, meint Geschäftsführer Ting, „sind hier oft Hunderte von Menschen.“

Daß das Zentrum in der Wittestraße 69 eigentlich ein Tempel ist, merkt man nur auf den zweiten Blick. Schreiend toben chinesische Kinder durch die hellen Räume der Bibliothek, eine Frauengruppe berät lautstark über die Zutaten für ein vegetarisches Kochrezept, aus einem Lautsprecher kommt klimpernd chinesische Musik. Erst als wir die Schuhe ausgezogen haben und vorbei an langen Pantoffelregalen in den zweiten Stock kommen, sehen wir das Herzstück des Hauses: den Meditations- und Tempelraum. Über bunten Kissen, Blumen und bemalten Papierrollen hängt ein schwerer Duft von Räucherstäbchen. Am Kopfende des Raums drei überlebensgroße, goldene Buddhafiguren. Auf der Brust trägt jede von ihnen die Swastika, das umgekehrte Hakenkreuz, das Glück und Vollkommenheit symbolisiert.

In diesem Raum wird Man- Cheh zusammen mit fünf weiteren Dharma-Meisterinnen aus Paris und Schweden vom 16. bis zum 20. August die Avalambana-Zeremonie, eines der höchsten taiwanischen Tempelfeste, zelebrieren. Vier Tage lang wird sie sich in Gesang und Sutren-Rezitation versenken und zusammen mit den Gläubigen, die vorwiegend aus Taiwan, China und Deutschland stammen, der verstorbenen Ahnen gedenken. Daß es sechs Frauen sein werden, die die Zeremonien leiten, ist kein Zufall. Denn, so erklärt die Vereinsvorsitzende Dr. Hui-wen von Groening, anders als in vielen anderen buddhistischen Orden spielen Frauen im taiwanischen Fo-Kuang-Shan-Kloster, zu dem der Tegeler Tempel gehört, die erste Geige. 70 Prozent der 3,5 Millionen Ordensmitglieder sind Frauen.

Wer ein Noviziat im Orden des Heiligen Berges antreten will, der muß sich in jahrelangen Prüfungen bewähren. Zwölf Jahre dauerte es, bis Man-Cheh ihre weltliche Kleidung mit der ockerfarbenen Nonnenkutte des Klosters vertauschen konnte. Als die taiwanische Mittelklassen-Tochter zum ersten Mal diesen Wunsch äußerte, reagierten die Eltern entsetzt. „Heute“, sagt sie, „haben sie verstanden, daß es mir gut geht und ich meine Aufgabe gefunden habe.“ Man-Cheh, die ihren bürgerlichen Namen ablegte, wurde Novizin des Klosters Fo Kuang Shan im Süden Taiwans. Ihr einziger persönlicher Besitz sind seither nur ihre Gewänder, eine Bettelschale, eine Gebetskette mit 108 Perlen, ein Dharma- Lehrbuch und ein Schermesser, mit dem sie sich alle zwei Wochen den Kopf rasiert.

Doch mit Meditation und Selbsterkenntnis allein darf Man- Cheh sich nicht zufrieden geben. So fordert das Mahayana, eine der beiden großen Strömungen des traditionellen Buddhismus, auch außenstehende Menschen zur Erleuchtung zu führen. Für die Nonnen des Fo-Kuang-Shan-Klosters wird daraus ein missionarischer Auftrag. „Durch Bildung den buddhistischen Nachwuchs zu fördern, durch kulturelle Aktivitäten den Buddhismus zu verbreiten und das Herz der Menschen zu reinigen“, heißt das Leitmotiv, mit dem Man- Chehs Ordens- und Zenmeister Hsing-Yun 1967 das Kloster Fo Kuang Shan gründete. Über hundert Tempel und Kloster sind seither in aller Welt entstanden, sechs buddhistische Akademien, zwei Mittel- und zwei Hochschulen, eine davon in den USA.

Drei Jahre sind vergangen, seit Man-Cheh zum ersten Mal in Berlin vor dem KaDeWe stand und chinesische Passanten für die Gründung des Kulturvereins interessieren wollte. „Die haben sich alle weggedreht“, erinnert sie sich. Inzwischen hat sie ganz andere Sorgen. Beim viertägigen Avalambana-Fest ist sie für alles zuständig: von der Leitung der Zeremonien über die Betreuung der Besucher bis zum Hausputz. Von sechs Uhr morgens bis spät in die Nacht nur Arbeit, Andacht und Askese. Ob sie ihren Verzicht auf alle sinnlichen Freuden des Lebens schon mal bereut hat? „Keine Sekunde. Ich bin froh, daß ich das alles hinter mir habe“, antwortet sie.

Information: Internationaler Buddhistischer Kulturverein, Wittestr. 69, 13509 Berlin, Tel.: 413 76 21

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