: Hochofen als Müll-Verbrennungsanlage
■ Hochofen „verwertet“ auch Lackschlämme / Stahlwerke bestellten Gutachten über Restmüll
Der technische Direktor der Stahlwerke Bremen, Dr. Hans-Ulrich Lindenberg, gibt sich hanseatisch-züruckhaltend: „In weiter Ferne“ liege das Thema, es gebe „eine Menge Überlegungen“, mehr nicht. Gegenstand der Überlegungen: So wie derzeit schon 70.000 Tonnen Kunststoff mit dem Grünen Punkt jährlich in den Hochofen wandern, könnten die Stahlwerke ganz allgemein in die Müllverbrennung einsteigen. Man lasse gerade untersuchen, sagt der Stahlwerke-Direktor, was denn überhaupt in dem Restmüll an Stoffen drin sind, die derzeit noch in der defizitären Müllbverbrennungsanlage (MVA) verbrannt werden.
Schon die Plastik-Verwertung ist für die Stahlwerke ein Geschäft. Derzeit wird auf dem alten Klöckner-Gelände eine eigene Kunststoff-Wiederaufbereitungsanlage gebaut – man macht den Unternehmen der Müll-Branche Konkurrenz auf allen Ebenen. Wenn das Plastik-Granulat nicht in den Hochofen gekippt würde, müßten 90 Kilo Schweröl für jede Tonne Rohstahl gekauft werden. 25 Millionen Mark kostete die riesige Menge Schweröl jährlich. Der Ersatz für das Schweröl ist dazu noch ein Goldesel: die Stahlwerke erhalten sogar noch Geld dafür – in unbekannter Höhe – daß sie den Plastik-Müll nehmen. Ein doppeltes Geschäft also. Die neue große Anlage läuft in Bremen seit dem Juli.
Die alte, kleine Versuchsanlage wird seitdem mit Lackschlämmen gefüttert. Denn ganz nebenbei haben die Stahlwerke auch die Genehmigung erhalten, 10.000 Tonnen Lackreste in jedem Jahr in dem Hochofen zu verwerten. Man komme derzeit nur auf ca. 4.000, sagt der technische Direktor Lindental, mehr gibt es auf dem Markt nicht. Auch bei den Lackschlämmen gilt: Für die Stahlwerke ersetzen sie Schweröl, aber wenn die Stahlwerke das, was für sie Rohstoff-Ersatz ist, jemandem abnehmen, bekommen sie noch Geld für die „Entsorgung“. Allein der Bremer Mercedes-Betrieb wird bei Klöckner 500 Tonnen im Jahr los.
„Weil das so gut geklappt hat“, freut sich Betriebsratssprecher Eike Hemmer, denkt das Unternehmen schon weiter. Denn viele Schadstoff-Probleme, die die Müllverbrennungsanlage hat, kennt der Hochofen nicht: Bei Temperaturen über 1.300 Grad bleibt von den meisten giftigen Stoffen nicht viel übrig. Und was übig bleibt, geht mit der Hochofen-Schlacke in den Zementbetrieb, der auf dem Klöckner-Gelände steht. Was die Plastik-Verwertung angeht, hat sogar das renommierte Öko-Institut Darmstadt, von Klöckner mit der kritischen Prüfung beauftragt, kein Haar in der Suppe gefunden.
Für die Stahlwerke gibt es zwei Gründe, auf das ganz große Müll-Geschäft zu spekulieren. Erstens: Die klassischen Müllverbrennungs-Anlagen sind in der Krise. Die Restmüll-Aufkommen sinken überall aufgrund der Müll-Sortierung, auch die Bremer MVA leidet unter geringer Auslastung und fährt deshalb Defizite ein – die Müllgebühren drohen zu steigen, was unpopulär ist. Politiker sind ratlos, wenn sie an eine neue MVA denken, sie sind bereit, Alternativen zu fördern.
Zweitens: In der Müll-Wissenschaft werden solche Alternativen seit einigen Jahren schon erforscht. „Der klassische Restmüll kann als nachwachsender Rohstoff gebraucht werden,“ sagt zum Beispiel Prof. Klaus Wiemer, Leiter des Witzenhausen-Institut für Abfall, Energie und Umwelt. Der Kasseler Hochschullehrer Prof. Wiemer, der auch für die Stahlwerke Bremen forscht, hat erfolgreich großtechnische Versuche gemacht, um dem Restmüll mittels Biowärme die Feuchtigkeit zu entziehen. Das „Trockenstabilat“, so heißt das klein gehexelte und getrocknete Produkt, läßt sich unbegrenzt lagern, gärt nicht und stinkt nicht – und brennt sehr viel bessser als der nasse Restmüll. Das „Stabilat“ läßt sich also wie Kohle transportieren und nach und nach in einem Kraftwerk als Brennstoff verwenden. Oder eben in einem Hochofen, wo auch die Reststoffe im „Hüttensand“ verschwinden.
Klassische Müllverbrennungs-Anlagen, die nichts anderes tun als den Müll möglichst schnell beseitigen, wird es nicht mehr geben, wenn diese Technologie sich durchsetzt. Die neue „Müllverbrennungsanlage“, die die veraltete Bremer MVA in einigen Jahren ersetzen soll, könnte auf dem Gelände der Stahlwerke Bremen stehen und ganz traditionell „Hochofen“ heißen. K.W.
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