: Das verwirrte Faxgerät Von Ralf Sotscheck
Wenn in Großbritannien eine ungewöhnlich lange Hitzeperiode und ein besonders tiefes Sommerloch zusammentreffen, kommt dabei meist eine recht unterhaltsame Katastrophe heraus. Diesmal stand die Labour Party dabei unfreiwillig im Mittelpunkt. Seit Wochen fallen mehr oder weniger unbekannte Hinterbänkler über Labour-Führer Tony Blairs reformistischen Kurs her, weil sie auch mal gern in der Presse zitiert werden möchten – und dafür stehen die Chancen während der sommerlichen Nachrichtendürre ziemlich gut. Der Höhepunkt der Blair- Schelte kam vor einer Woche, als das Tory-Boulevardblatt Evening Standard einen Artikel von Bryan Gould abdruckte, worin der ehemalige Parteivorständler dem Labour-Führer Machtgeilheit und Unfähigkeit bescheinigte. Die Konservativen frohlockten ob dieser harschen Kritik von scheinbar kompetenter Seite, während die Labour-Spitze den Artikel des früheren Genossen als „Erguß eines Verbitterten“ abtat.
Der vermeintliche Autor lebt inzwischen in Australien und bekam von der Aufregung um seine Person zunächst nicht das geringste mit. Erst als ihn ein aufgebrachter Labour-Abgeordneter anrief, schöpfte er Verdacht – zu Recht: Der unter seinem Namen abgedruckte Artikel stammte aus der Feder des 19jährigen Nachwuchsjournalisten Nick Howard. Stuart Steven, der Herausgeber des Evening Standard, erklärte mit knallrotem Gesicht, daß der nicht bestellte Howard-Text fast zeitgleich mit dem bestellten Gould-Artikel per Fax einlief. Irgendwie hätten sich die beiden Texte im Gerät vermischt, behauptete Steven wenig plausibel.
Dabei hätte sowohl dem verantwortlichen Redakteur als auch dem Herausgeber, der den Artikel vor Drucklegung absegnte, ein Licht aufgehen müssen. „Während der politischen Unruhen im Winter 1978 war ich dreieinhalb“, beginnt der Howard-Artikel nämlich wahrheitsgemäß und fährt dann fort: „Ich habe nie eine Rede des damaligen Labour-Führers Michael Foot im Fernsehen mitbekommen, noch habe ich irgendeine Erinnerung an den Wahlkampf 1983.“ Der Text schließt mit den Worten: „Ich bin bei den nächsten Wahlen erstmals wahlberechtigt.“ Bryan Gould ist aber bereits 57 und hat bei den Wahlen, an die er sich angeblich nicht erinnern kann, das Direktmandat für Dagenham gewonnen. Dennoch stutzten weder Redakteur noch Herausgeber, sondern hielten das Ganze für einen journalistischen Schachzug des ehemaligen Labour-Politikers. „Bryan Gould stellt sich vor, er sei Jungwähler“, fabulierten sie in der Überschrift. Der echte Gould begann dagegen mit den Worten: „Tony Blair hatte ein tolles erstes Jahr als Labour-Chef.“ Er werde zweifellos die nächsten Wahlen gewinnen. Der Text landete wegen des Gähnfaktors im Papierkorb.
Nick Howard hatte von dem Sturm der Entrüstung, den er ausgelöst hatte, zunächst ebenfalls nichts bemerkt: Nachdem er den Artikel an die Zeitung gefaxt hatte, war er mit seinem Vater in den Urlaub nach Frankreich gefahren. Der Vater ist übrigens – wie der Zufall so spielt – Michael Howard, der britische Innenminister. Stuart Steven sagte am Donnerstag kryptisch: „Bei dem Stil des Artikels blitzt etwas von der politischen Reife des Vaters auf.“ Was will er damit bloß andeuten?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen