Rausch der Endorphine

Großer Erfolg für Frauke Schmitt Gran bei der Orientierungslauf-Weltmeisterschaft  ■ Von Rolf Wüstenhagen

Detmold (taz) – In jeder anderen Sportart hätte Frauke Schmitt Gran allen Grund, traurig zu sein. Ist sie doch bei der Weltmeisterschaft knapp um zwei Sekunden an der Bronzemedaille vorbeigelaufen und Fünfte geworden. So aber verkündet die 26jährige Exil- Schwarzwälderin: „Die zwei Sekunden kratzen mich überhaupt nicht. Etwas, wovon ich immer geträumt habe, ist in Erfüllung gegangen.“ Der Grund für die Freude der Athletin liegt in den Besonderheiten ihrer Sportart.

Der ostwestfälische Landkreis Lippe ist Schauplatz der 16. Weltmeisterschaften im Orientierungslauf, der zweiten Titelkämpfe dieser Art auf deutschem Boden. Zuletzt gab sich die eingeschworene, hierzulande etwa fünftausendköpfige Gemeinde der Kompaßsportler 1970 in Thüringen ein Stelldichein. Da hatte Frauke Schmitt Gran gerade ein Jahr lang das Licht der Welt erblickt. Zehn Jahre später ging sie im beschaulichen Schwarzwaldstädtchen Lahr erstmals mit Karte und Kompaß in den Wald. Schon bald mußten ihre Altersgenossinnen sich daran gewöhnen, mit zweiten Plätzen vorliebzunehmen. Frauke gewann in den Jugendklassen eine deutsche Meisterschaft nach der anderen, und auch die Erwachsenen lehrte sie bald das Fürchten.

Für grenzüberschreitende Ruhm und Ehr' war das aber nicht genug, denn international dominieren seit Jahrzehnten die Skandinavier das Feld. Das ist nicht weiter überraschend, hat der Orientierungslauf doch in den nordischen Ländern seinen Ursprung. Die Legende sagt, daß norwegische Bärenfänger Ende des letzten Jahrhunderts begannen, einfache Kartenskizzen zu erstellen, um damit ihre Fallen besser wiederfinden zu können. Mit der Zeit entwickelten sich organisierte Wettläufe, und statt des Originals gab es fortan virtuelle Bärenfallen in Form eines kleinen Metallständers, der mit einem rot-weißen Stoffschirmchen kenntlich gemacht wurde. Wer am schnellsten seinen Weg zu diesen Posten gefunden hatte, trug den Sieg davon. Während sich in Skandinavien ein Volkssport daraus entwickelte, dem heute jeden Sommer 20.000 Läuferinnen und Läufer bei der Traditionsveranstaltung Femdagars frönen, blieb Orientierungslauf in Deutschland bis heute eine Randsportart.

Was folgt daraus für Athleten, die den Anschluß an die Weltspitze finden wollen? „Wir fahren jedes Jahr für zehn bis vierzehn Tage ins Trainingslager in die nordischen Länder“, skizziert die 22jährige Schweizerin Marie-Luce Romanens, frischgebackene Weltmeisterin auf der Kurzstrecke, eine Variante. Frauke Schmitt Gran wollte sich mit dieser Light-Version nicht anfreunden und siedelte vor vier Jahren nach Norwegen über, wo sie Björn-Axel Gran traf. Der vielseitige Norweger fungiert nun als Trainer, Manager, rasender Reporter und ganz nebenbei auch noch als Ehemann.

Der Erfolg für das Gespann kam langsam, aber unaufhaltsam. Bei der letzten WM 1993 in den USA zeigte sich das Nervenkostüm der Läuferin den hohen Erwartungen noch nicht gewachsen. Sekunden mangelnder Konzentration reichten, um die hoffnungsvolle Studentin minutenlang durch die herbstlichen Wälder im Staate New York kreisen zu lassen. Als der ersehnte Posten dann auf einem Hügel in Sicht kam, war der Zug zur Weltspitze abgefahren.

In dieser Woche war es dann soweit. Schon bei der Entscheidung in der klassischen Distanz, die die Damen neun Kilometer lang über die Höhen des Teutoburger Waldes führte, ließ Frauke ihre Topform aufblitzen und erreichte mit Rang 10 die zweitbeste deutsche Plazierung aller Zeiten. Zwei Tage später in Bad Salzuflen sprintete die Deutsche im Rausch der Endorphine durch den Stadtwald und bog schließlich mit der fünftbesten Zeit in den Park mit dem klangvollen Namen Walhalla ein.

Wer wagt noch daran zu zweifeln, daß bald in Deutschland eine dem Boris-Becker-Fieber der achtziger Jahre verwandte Sucht ausbricht, die kleine Jungen und Mädchen auf der Suche nach kleinen rot-weißen Posten durch die Wälder ziehen läßt?