: Puppenhaus aus Beton
■ „Geschlossenen Systeme“ von Achim Manz in der Galerie Seinsoth
„Diese Werke erfordern, daß man ganz genau hinsieht“, mahnte Galeristin Brigitte Seinsoth ihre Vernissagen-Gäste, als sie am Freitagabend eine Ausstellung mit Plastiken und Zeichnungen des Bremer Künstlers und Villa Massimo-Stipendiaten Joachim Manz eröffnete. „Geschlossene Systeme“ nennt Manz seine aus Betonguß gefertigten Werke. Kleine Architekturmodelle, die mit klaustrophobischen Gefühlen und anderen Irritationen spielen: Reglose Fahrstuhl-Systeme, ein Kirmes-Rotor, das Radwerk einer „Wassermühle“ wie Hamster-Laufräder, aus denen es kein Entkommen gibt. Eine absurde Architektur von äußerster formaler Kühle, in der Elemente aus der Antike, dem Klassizismus und der (Post-)Moderne eine Mischung eingehen, die einerseits vor Anspielungen strotzt und andererseits nur um sich selbst zu kreisen scheint.
Der rote Faden in den sechs präsentierten Betonskulpturen: Alles dreht sich hier um Transportsysteme in der Architektur. Das allerdings vollkommen statisch. Denn durch den Betonguß erwecken die Skulpturen den Eindruck geronnener Zeit. Das „Karussell“ etwa – ein Miniatur-Kirmesgerät (inklusive Kassenhäuschen) – wirkt ebenso plötzlich in der Bewegung gestoppt wie die diversen Fahrstühle oder das unbewegliche Rad der „Wassermühle“, deren Kastenarchitektur ein ironisches Spiel mit den am Titel klebenden romantischen Assoziationen betreibt.
Puppenhausgroß stehen die Betonkästchen wie nutzlose Spielzeuge in der Galerie. Jedes einzelne Stück wurde – laut Galeristin – vom Künstler höchstselbst in einem strengen und sehr bewußten Raumbezug plaziert, bis hinein in die Winkelhaltung zu den umgebenden Wänden und Fenstern der Ausstellungsräume. Auch dies ein Grund, genau hinzusehen und nach Korrespondenzen zu forschen. Solche aber wollen sich partout nicht enthüllen. Der Kontrast zwischen Manz' Betonskulpturen und den Galerieräumen erzeugt einfach keine ästhetische Spannung. Im Gegenteil. Noch nie fiel die PVC-gerahmte Thermopenverglasung der Galerie störender auf, selten ärgerte die Rauhfasertapezierung mehr als im Angesicht der hier präsentierten Konzept-Architektur. Ein Beispiel: „Fahrstühle II“, ein oben offener Betonkasten, in dessen Schächten auf verschiedenen Höhen steckende Aufzüge zu sehen sind, hängt da an einer Wand, deren Rauhfaser-Struktur die klaren Linien des Werkes so penetrant boykottiert, daß einem vor allem eines auffällt: die Unmöglichkeit, Manz' Werke für das eigene Wohnzimmer erwerben zu wollen.
Der angeblich so bewußte Bezug der Ausstellungsstücke auf den umgebenden Raum entpuppt sich dann im Gespräch mit dem Künstler auch als irreführende Überinterpretation. „Eigentlich gehören meine Objekte nicht auf Sockel, sondern in die architektonische Kälte von Parkhäusern, Firmenwänden und öffentlichen Gebäuden“, sagt Manz. Dort nämlich enthüllen sie erst ihren ästhetischen Reiz, der im absurden Spiel zwischen den funktionslosen Modellen und der realisierten Bau“kunst“ liegt.
„Fahrstühle I“, ein rund um die Fassade mit Aufzügen gespicktes Hochhausmodell, möchte Manz am liebsten mitten in eine Säule im Parkhaus einbauen. Das wäre dann in der Tat spannend, weil es vielfältige Korrespondenzen zwischen Kunst und Bau enthüllte.
In der Ausstellung aber kommt solches nicht rüber. Vielmehr herrscht dort der Eindruck von Vorläufigkeit. Und der macht jedes Urteil, ob die Umsetzung der künstlerischen Intention gelungen oder mißlungen ist, unmöglich.
Einen besseren Eindruck vom Spiel zwischen architektonischem Modell und realer Architektur, wie es Joachim Manz mit seiner Kunst betreibt, vermittelt seine gerade in Walle enthüllte „Behausung“: Ein Kunstwerk im öffentlichen Raum, für das er den Erker der Berufsschule am Steffensweg in voller Größe nachgebaut und dreißig Meter neben das Original gesetzt hat. Ist hier die Verdoppelung eigentlich schon Anreiz genug, die Architektur mit neuen Augen wahrzunehmen. Der Christo-Effekt setzt ein. Aber wo andere nur verhüllen, setzt Manz noch einen drauf: Sein Double scheint bewohnt zu sein. Nachts wird nämlich wie von Geisterhand der Vorhang zugezogen und das Licht eingeschaltet. Was - wie der Künstler augenzwinkernd erklärt - vor allem die Kinder aus der Nachbarschaft in Walle zu der kunstkritisch treffenden Frage brachte: „Mami, wohnt da jemand?“. Und dann suchen die Erwachsenen verzweifelt nach der richtigen Antwort. Wo das „Hexenhaus“ doch offensichtlich keinen Eingang hat. Dieses Spiel mit Rätseln und Simulationen liebt Manz. Nicht zuletzt deswegen,
weil den Kritikern dazu nicht viel mehr Sinnvolles einfällt, als daß Kunst eben manchmal einfach absurd sein will – nichts weiter.
Ach so, die Zeichnungen in der Ausstellung: Davon gibt's nur zwei. Und die hängen – zu Recht – im Flur.
Moritz Wecker
„Geschlossene Systeme“ in der Galerie beim Steinernen Kreuz, bis zum 30. Sept.
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