: Senator Nölle blickt in ein 185 Mio-Loch
■ Finanz-Controlling ergibt: 121 Millionen Steuern fehlen / Zuviel Lehrer und zuviel Beihilfe
Die Sommerferien sind vorbei, heute geht für die große Koalition das Regieren los: Der Finanz-Bericht für das erste Halbjahr 1995 liegt auf dem Tisch. Unter dem Strich stehen 64 Millionen an Mehr-Ausgaben, 132 weniger an Einnahmen. Wenn das im zweiten Halbjahr so weitergeht, wird das Bundesland Bremen 1995 nicht 300 Millionen seiner Schulden tilgen wie geplant, sondern trotz der 1,8 Milliarden Bonner Finanzhilfe die Verschuldung sogar noch erhöhen. Noch ist es nicht so weit, und noch könnte der Senat ja handeln.
Unverrückbar sind die Mehrausgaben: 36 Millionen allein bei den Personalkosten wegen der „unerwartet hohen Effekte“ der Tarif- und Besoldungserhöhung. Bei den ABM-Mitteln waren 8,9 Millionen für das ganze Jahr 1995 geplant, 8,2 Mio davon sind schon nach sechs Monaten ausgegeben. Auch mit einer Nachbewilligung von 4,5 Millionen wird man nur auskommen, sagt der Finanzbericht, wenn „bis Ende des Haushaltsjahres keine auslaufenden AB-Maßnahmen verlängert und/oder neue Maßnahmen aufgenommen werden“.
Beim Personal gibt es im Bereich Soziales/Gesundheit 67 Stellen über Plan, bei den Kitas gibt es dafür 21 Stellen weniger als beschlossen, die Lehrer überschreiten die geplanten Personal-Zahlen mit 206 Stellen. Teurer als geplant ist auch die Sozialhilfe (28 Millionen), beim Landespflegegeld wird nicht so gespart wie erhofft, beim Wohngeld steigt der Bedarf. Wie im Vorjahr steht auf der Ausgaben-Seite auch eine scheinbar gute Nachricht: es wird nicht soviel investiert wie geplant. „Deutlich unter Durchschnitt“, sagt der Finanzbericht, bewegen sich die Ausgaben für Wirtschaftsförderung und Investitions-Sonderprogramm.
Was die Finanzplaner derzeit völlig ratlos macht, sind die ab Juni drastisch gesunkenen Steuereinnahmen. Gemessen an den Steuerschätzungen und dem Plan „ergibt sich aktuell ein Defizit von 121 Millionen Mark“. Noch im Mai sah alles gut aus, im Juni kam dann der Einbruch. Da dies auch in den anderen Bundesländern so ist, funktioniert kein Länderausgleich – „so daß nicht mehr auszuschließen ist, daß auch Bremen ... im laufenden Haushaltsjahr von Steuermindereinnahmen nicht verschont bleiben wird“. Die spannende Frage ist für die Finanzexperten offen: War dieser Einbruch im Juni ein Ausrutscher, oder zeichnet sich ein Negativ-Trend für den Herbst ab?
Zusammen mit den 64 Millionen Ausgaben-Überschreitung bleibt aber im ersten Halbjahr 1995 eine Lücke von 185 Millionen gegenüber dem Haushaltsplan – die 300 Millionen Tilgung, so wie sie die Ampel als Jahresergebnis wollte, steht in den Sternen. Von den 600 Millionen Mark Tilgung, die CDU-Spitzenkandidat Nölle im Wahlkampf gefordert hat, ganz zu schweigen – Finanzsenator Nölle nimmt diese Zahl nicht in den Mund. Entscheidungen als mögliche Schlußfolgerungen aus dem Finanzbericht schlägt der Finanzsenator dem Senat nicht vor.
Wenn schon 1995 nichts aus der Entschuldung wird, dann ist für die Fortsetzung 1996 jetzt nur eines sicher: zusätzliche 132 Millionen Mark fehlen in der bremischen Staatskasse als Folgen des „Jahressteuergesetzes 1996“. Wenn die Bonner SPD ihre Vorstellungen durchgesetzt hätte, wäre es die Länder noch teuerer gekommen. Aus diesem Grund hatte Bremens Regierungschef Scherf gegen Rudolf Scharping opponiert und dem CDU-Vorschlag im Vermittlungsausschuß zugestimmt: - das Kindergeld sollte nicht auf 250 Mark erhöht werden, wie die SPD gefordert hatte, sondern zunächst nur auf 200 Mark, - das steuerfreie Existenzminimum soll für 1996 nicht 13.000 Mark (SPD-Forderung) betragen, sondern nur 12.095 Mark. Einkommen bis zu 55.000 Mark, bei Verheirateten das Doppelte, werden so steuerlich entlastet. Der Fehlbetrag für Bremens Staatskasse steigert sich bis 1998 auf 185 Millionen. „Das erklärte Ziel, nämlich die Landeshaushaltsordnung ab 1999 einzuhalten, wird durch die Steuermindereinnahmen massiv gefährdet“, meinte Finanzsenator Nölle dazu. Der Senat werde „weitere Konsequenzen zu ziehen haben“. Welche, sagt er vorerst nicht. K.W.
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