Pop komm raus
: Zuletzt wird alles Hitparade

■ Nach ein paar Tagen relativer Transparenz: zum Abschied das Loblied auf den kreativen Einzelgänger

„Ratz + Rübe“, die superlustigen PopKomm-Berichterstatter der Zeitschrift Max, haben ihre Augen überall: Vetragsunterzeichnung um 10 Uhr 07! „Am Stand von Kick-Musik unterschreibt die 18jährige Sängerin Regine Sauter (Rockband Face). Sie war dafür um 4.30 Uhr in ihrer Heimatstadt Ulm aus dem Bett gekrochen. Welch ein Einsatz!“ Ansonsten ist zu vermelden, daß Viva über 216, MTV aber nur über 150 Quadratmeter Standfläche verfügte und PopKomm-Mitorganisator Reiner Schlömer wieder raucht. 11.914 sind insgesamt gekommen. Und Monti Lüftner, meine Lieblingsfigur unter den grandseigneuralen, durch und durch windigen Altbranchenhengsten, hätten sie einmal fast nicht reingelassen! Erst als „Mogul“ Lüftner die Max-Ausgabe mit dem Interview mit sich hochhielt, wurde den Ordnungskräften klar, was für einen Scheiß sie da gebaut hatten!

Soll keiner sagen, hier sei nichts los gewesen! Wenn am späten Sonntagnachmittag der Parcours sich gespenstisch schnell leert und wo gerade noch Messe war, plötzlich wieder nichts ist, stellt sich allerdings härter als bei vergleichbaren Schauen und Gatherings die Frage, was das nun eigentlich war. Im Gegensatz zu Buchmessen spielen Händlerkontakte auf der PopKomm kaum eine Rolle, man macht ganz in freier Kommunikation – ohne sicht- und meßbares Ergebnis. Auch gibt es keinen Ereigniskern, kein Herzeigen des State of the Art wie bei Filmfestspielen oder Kunstbiennalen; was an Bands zu besichtigen ist, ist samt und sonders fest unter Vertrag und selten unbekannt. Vom Viva-Musikpreis abgesehen, gibt es nicht einmal eine Trophäe. Man spricht mit Leuten, mit denen man sonst fernmündlich oder per Fax verkehrt, latscht sich die Hacken ab, sieht sich Panels an, die keiner wirklich ernst nehmen kann, und geht abends auf Konzerte, die – von absoluten Ausnahmen abgesehen – es anderswo genauso und bequemer gibt, so what?

Kein Wunder, daß die Branche ihre eigene Sozialpsychologie entwickelt. Eine Umfrage des Special-interest-Magazins Musikwoche („Wer und was lockt nach und in Köln?“) läßt nur den Befund zu, daß die Anbieter in einer Mischung aus Konventionalität und sozialer Angst handeln. „Man kann es sich nicht leisten, nicht da zu sein“, meint Martin Brem, Marketing-Director bei Mercury, ehemals Phonogram, die sich gerade in eine „neue, agile und junge Happening-company“ umstrukturiert hat. Fast wortgleich auch Stefan Groß von „Intuition Music & Media.

Andere formulieren es diplomatischer, wie etwa Michael Bartes von Polygram Video. Die Firma zeigt Präsenz, „weil wir die Bedeutung dieser Messe gerade im Bereich Kundenkommunikation schätzen und dort in komprimierter Art und Weise den Markt in seiner Gesamtheit beobachten können“. Wieder andere heben nachbeterisch den „internationalen Stellenwert“ hervor oder engagieren sich, „weil wir der Auffassung sind, daß die Messe den Musikmarkt für einige Tage relativ transparent werden läßt“.

„Relativ transparent“? Zwar wurde an einigen Ständen Zuversichtliches angeboten, zum Beispiel die geniale Erfolgsformel A+B=C für den Musikmagazinbereich (Anzeige plus Bestplazierung = Charterfolg), und außerhalb der Kleinlabel und Liebhaberklitschen ist gute Laune ohnehin Pflicht. Techno-Flitzer mit laokoonartigen Plastikschläuchen um Bauch und Brust gleiten auf Rollschuhen durch die Hallen und vollführen einen kleinen Medientanz, sobald eine Kamera in ihre Nähe kommt. So etwas wie eine Quersumme der Statements und Eindrücke müßte lauten: Erfolg ist nicht wirklich planbar, das Popbusineß ist den Bewegungsgesetzen, die es kommunikativ zu steuern vorgibt, zum beträchtlicheren Teil selbst unterworfen.

Einige, nicht allzu überraschende Entwicklungen sind immerhin abzulesen:

1. Nichts altert so schnell wie die Zukunft von gestern. „Multimedia“ ist (vorläufig) als Mythos enttarnt: Was vor einem Jahr noch als visionär und technisch topmodern galt, erscheint heute als „Novelty Gag“: Effekthascherei mit kurzer Laufzeit. Selbst der Messekatalog stellt fest: „Eine neue Kultur jenseits der Computerspiele ist hier noch nicht entstanden. Trotz aller Berührungspunkte unterscheiden sich die computerisierten Kamerafahrten durch Blubbergewölbe wohl immer noch vom berühmten goldenen Händchen für den genialen Mix oder den guten Groove.“

2. Nichts vergeht je. Keine Ästhetik im Musikbereich löst die vorhergehende vollkommen ab, auch keine technische Innovation und keine Generation. Mittzwanziger hören wieder Bert Kaempfert; was definitiv tot schien, wie die Vinyl-LP, hat immer noch ein Leben als Liebhaberstück in Reserve – oder, im Gegenteil: als Experimentiermittel der DJ- Avantgarde.

3. Human Factor strikes back: Die Verbilligung von Technologien gibt den Bastlern eine neue Chance, produziert werden kann heute in jeder Besenkammer. Das macht es für die Industrie noch schwieriger, Entwicklungen vorherzusagen, öffnet das System aber immer wieder auf Zukunften hin, die am Reißbrett so gar nicht hätten entwickelt werden können. Wer hätte sich schließlich im Falle von Techno träumen lassen, welche kommerziellen Folgen der Sound einer Garage in Chicago haben würde? Zuletzt wird alles Hitparade.

Genau deshalb wurde 1995 – trotz noch mehr Besuchern eher The Year of the Katzenjammer – besonders das Loblied auf den kreativen Einzelgänger gesungen. Und genau deshalb klingt es ebenso mephistophelisch wie wahr, wenn die Veranstalter im Grußwort schreiben: „Die PopKomm sind Sie. Danke, daß Sie gekommen sind.“ Thomas Groß