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Zaire erzwingt den Marsch zurück

■ Mehr als 11.000 Flüchtlinge sind aus Zaire nach Ruanda und Burundi abgeschoben worden - rund 100.000 sind aus Angst davor erneut auf der Flucht. Das UN-Flüchtlingshilfswerk hatte die Krise vorausgesagt Von

Zaire erzwingt den Marsch zurück

Fernando Del Mundo, Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, sieht die Massenvertreibungen aus Zaire gelassen. „Dies ist keine humanitäre Krise“, erklärte er gestern gegenüber der taz, „sondern eine politische.“ Gemeint ist: Das UNHCR fühlt sich nicht zuständig. Das ist verständlich, ist doch das Vorgehen der Zairer bestens dazu geeignet, die mühselig aufgebaute Arbeit der internationalen Flüchtlingshilfe in den Lagern um Goma, Bukavu und Uvira zunichte zu machen.

Dreizehn Monate ist es her, da flohen innerhalb kürzester Zeit 1,5 Millionen Menschen aus Ruanda nach Zaire – im Schlepptau des für den Völkermord von 1994 verantwortlichen ruandischen Regimes, dessen politische und militärische Führung sich nahezu komplett in den Lagern um das zairische Goma niederließ und allem Anschein nach begann, die Rückeroberung Ruandas vorzubereiten. UNO, internationale Hilfsorganisationen und die Regierungen Ruandas und Zaires versuchen seitdem, die Flüchtlinge zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen – eine Aufgabe, die oft daran scheiterte, daß die geflohene ruandische Armee die Lager beherrschte und die Flüchtlinge mit Gewalt und Greuelgeschichten von einer Rückkehr abhielt.

Knapp 235.000 haben nach UNHCR-Angaben den Rückweg bisher geschafft. Nachdem die Repatriierungen im April schlagartig aufhörten, weil in Ruanda Soldaten der neuen Regierung das Vertriebenenlager Kibeho besetzten und mehrere tausend Hutu umbrachten, hatten im Juli wieder zaghaft Rückführungen eingesetzt.

Der ganze Stolz des UNHCR war ein im Februar getroffenes Arrangement mit Zaire, wonach das UNHCR 1.500 zairische Soldaten – die meisten davon Mitglieder der als disziplinierte Elitetruppe geltenden Präsidialgarde – dafür bezahlt, in den Lagern für Ordnung zu sorgen. Erstes sichtbares Ergebnis der Stationierung dieses „Zairischen Kontingents für die Lagersicherheit“ (CZSC) war, daß die Soldaten und Milizionäre unter den Flüchtlingen begannen, sich von den Zivilisten in den Lagern fernzuhalten. „Die humanitären Helfer werden nicht mehr bedroht, Soldaten sind kaum noch zu sehen, und militärische Übungen finden nicht mehr in der Öffentlichkeit statt“, bilanzierte die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ Ende Juli. Nun bleiben jedoch die Elitesoldaten untätig, während ihre Kollegen aus den einfachen zairischen Regimenten die Lager brandschatzen. Nach UNHCR- Angaben beschränken sich CZSC- Einheiten derzeit auf die Sicherung von Hilfsgüterdepots und Lastwagen für Hilfstransporte.

Die CZSC-Stationierung hatte auch einen unerwünschten Nebeneffekt: Die militärischen Aktivitäten der Ruander in den Camps verlagerten sich außerhalb der Lager, jenseits der Kontrolle durch Hilfsorganisationen. Das hat dazu beigetragen, daß jüngst wieder vermehrt Gerüchte über eine massive Aufrüstung der ruandischen Milizen in Zaire und einen möglicherweise bevorstehenden Einmarsch in Ruanda kursierten.

Auf zairischer Seite herrscht schon seit längerem großer Unmut über die Ruander. Bewaffnete Flüchtlinge, denen es um Goma zu eng wurde, haben mehrfach einheimische Zairer von ihrem Land vertrieben; im Juni kam es bei einem solchen Vorfall zu einem Schußwechsel mit 85 Toten. In den weltberühmten Nationalparks in der Grenzregion zwischen Zaire, Ruanda und Uganda sind in den letzten Wochen Ausländer und Berggorillas ums Leben gekommen, und die zairische Öffentlichkeit macht dafür wildernde Ruander verantwortlich. „Die Landbevölkerung sieht in den Flüchtlingen eine Konkurrenz um Land und Ressourcen“, sagt die Hilfsorganisation Caritas, derzufolge 60 Prozent des nachwachsenden Holzes in den Wäldern des Virunga-Nationalparks von den Flüchtlingen als Bau- und Brennmaterial eingesammelt wird. Die „Kosten des Mitleids“, so das UNHCR, werden von Ostafrikas Gastgeberländern wie Zaire und Tansania immer unwilliger getragen.

Die Konsequenz beschrieb das UNHCR bereits im Juni 1995 in seinem jüngsten Bericht zur regionalen Flüchtlingslage: „Flüchtlinge werden mißhandelt und an jene ausgeliefert, vor denen sie zu entkommen versuchen.“ Den Anfang zu dieser Entwicklung machte im März Tansania, als es die Grenze zu Burundi vor mehreren Zehntausend umherziehenden Ruandern schloß.

Die zairische Armee sucht sich nun in den Flüchtlingslagern die Schwächsten als Opfer: Alte, Kranke, Behinderte, Frauen mit Kindern bilden den Großteil jener, die von den Soldaten auf Lastwagen, in Busse oder beschlagnahmte Privatautos gesetzt und über die Grenze gefahren werden. Haupteinsatzort ist nach UNHCR-Angaben das Lager Muganga bei Goma, wo bisher 150.000 Flüchtlinge lebten und wo auch die vor vier Monaten gegründete ruandische Exilorganisation RDR (Sammlung für Demokratie und Rückkehr nach Ruanda) ihren Sitz hat. Die RDR hat das zairische Vorgehen scharf kritisiert und von einer Auslieferung der Flüchtlinge an „Folterer“ gesprochen. Je länger die Deportationen anhalten, desto schwerer wird es auch sein, einen Konflikt zwischen den zairischen Soldaten und den ruandischen Milizionären zu vermeiden, die die Wegschaffung ihrer Angehörigen kaum tatenlos hinnehmen dürften.

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