Wir lassen lesen
: Fußballjournalismus mit anderen Mitteln

■ Voller Tiefsinn: die Magazine „Hattrick“ und „Verlängerung“

Mit verzerrtem Gesicht und in schwungvoller Schräglage springt uns Jürgen Klinsmann gleichermaßen an wie das Neongelb auf dem Titel. Das Heft, welches den Umfang von Otto- Katalogen aufweist, scheint uns anzuschreien: Kauf mich! Temperament verspricht das Werk allein schon durch seinen Namen: Hattrick. Nebenan im Zeitschriftenregal die traditionelle Variante, in bewährt blutgrätschenroter Aufmachung, welche gewissermaßen das Herkömmliche versinnbildlicht: solides Handwerk. Mit dem Start in die 33. Saison der Fußball- Bundesliga aber ist die beherrschende Position gefährdet, die das Kicker-Sonderheft bislang innehatte.

Der Vergleich der beiden Bundesliga-Magazine erinnert an die Werbung für Kopfschmerztabletten: den Klassiker konnten sie nicht besser machen, der Turbo aber könnte zum Überholen ansetzen. Hattrick fehlt zwar vieles – umfangreiche, aussagekräftige Statistiken etwa, und vor allem eine Übersicht über die zweite Liga – aber darauf kann man eigentlich ebenso gut verzichten wie auf die Super-Tabelle zum Selberstecken. Der Freiburger Verlag Total hat sich vom bisher einzig existierenden Konzept einer Bundesliga-Vorschau gelöst.

Das Layout ist moderner und erinnert ein wenig an Sports Life. Imponierende Bildstrecken, durchgehend vierfarbig, wodurch der Magazin-Charakter wesentlich gestärkt wird. Es sind dies Fotos, die den Bundesliga-Alltag im Close-up illustrieren: Zweikampf, Tragik, Komik, Frust und Wut, Euphorie und Freude. Und auch die Rückschau auf die vergangene Saison läßt Bilder sprechen. So einfach geht das.

Was den eigentlichen Wert dieses Neulings allerdings ausmacht, sind jene Reportagen, die den Hintergrund erhellen, die erklären, wieviel Geld im Spiel ist, die aufzeigen, wo die Show rund um die Liga den Sport absorbiert. Und es sind die Autoren, Redakteure und Mitarbeiter der namhaften Gazetten der Republik, Schöngeister allesamt, die Hattrick zu einem amüsanten und lesenswerten Magazin machen. Einfühlsame Reportagen, die das Gewerbe aus der Anonymität und Oberflächlichkeit seiner barbiepuppenbunten TV-Inszenierung befreien. Denn es geht nicht einzig darum, welcher Kicker fortan bei welchem Verein in Lohn und Brot steht, es geht um die Strukturen der Klubs, ganzer Fußball-Regionen, und es geht um die Menschen hinter den Vereinswappen.

Hattrick erzählt von jenen Typen, welche das Championat prägen. Das können die Macher im Hintergrund sein. Kultige Reporter wie TV-Mann Werner Hansch („der Pott-Poet“) und Radio-Kollege Günther Koch („die Stimme der fränkischen Seele“). Oder Torhüter, die von ihren schönsten oder dümmsten Gegentoren berichten. Gewiß, das Balltreter-Busineß lebt von Personen, und die umfangreichen und in sich differenzierten Personality-Stories über die Protagonisten der Branche erscheinen somit als die konsequente literarische Umsetzung. Dabei werden viele Klischees entlarvt. Ausnahmsweise umstrahlt einmal nicht der Heiligenschein des notorischen Ökopazifisten den Edelkicker Jürgen Klinsmann, und dem Dortmunder Andy Möller bleibt die Darstellung der ewigen Heulsuse erspart.

352 Seiten (für 9,80 Mark) beste, weil tiefsinnig-niveauvolle Unterhaltung. Inspiriert geschrieben und mit unerwarteten Ansätzen. Das Experiment hat sich gelohnt. Und für Februar ist eine neue Ausgabe versprochen. Wir nehmen das beim Wort. Markus Götting

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„Gerade der schnellebige Fußball braucht einen Ort der Besinnung. Die Spielzeiten jagen sich, Spieler, Trainer und Vereine machen Schlagzeilen, die morgen schon wieder Schall und Rauch sind.“ Den hehren Anspruch, dem Fußballsport einen Ort der Besinnung zu liefern, hat das Fußballmagazin Verlängerung (16 Mark) aus dem für seine Fußballpublikationen bekannten Essener Klartextverlag auf seine Fahnen geheftet. Auf rund 150 Seiten, mit farbigem Pappumschlag und vielen Schwarzweißbildern, kann sich der Leser mit Geschichten aus der Historie des runden Leders beschäftigen, die in vielen Fällen weit zurückliegen, es aber wert sind, wieder aus der Vergessenheit hervorgeholt zu werden.

Auf der Reise durch die Fußballvergangenheit ist in Heft eins in Interviews und Essays, die aus der Feder von namhaften Autoren wie Helmut Böttiger oder Jürgen Bertram stammen, beispielsweise zu lesen, daß nicht wie vielerorts angenommen Fritz Szepan und Ernst Kuzorra, sondern die Gebrüder Ballmann die Erfinder des Schalker Kreisels waren. Wer kann sich noch daran erinnern, daß „kleines dickes Müller“ seine ersten Einsätze bei den Münchner Bayern lediglich den diktatorischen Vollmachten von Präsident Wilhelm Neudecker, aber keinesfalls der Fürsprache von Trainer Tschik Cajkovski zu verdanken hat?

Der vielleicht nicht ganz so an Details interessierte Fan mag jetzt etwas abgeschreckt sein – aber keine Sorge: Verlängerung bietet darüber hinaus in lockerem Stil geschriebene Hintergrundgeschichten über den Aufstieg und Fall einst berühmter Teams wie FK Pirmasens, Wismut Aue oder Tasmania Berlin. Gerade der Artikel über die bislang schlechteste Bundesliga-Mannschaft aller Zeiten ist voll von kuriosen Episoden.

Verlängerung gebührt der Verdienst, abseits von einer schönen Fernseh- und Sponsorenwelt die letzten Bastionen einer gewachsenen Fußballkultur aufzuzeigen. Und das nicht nur für Fußballnostalgiker. Dirk König