: "Einzelfälle werden nicht geprüft"
■ Der FDP-Bundestagsabgeordnete Edzard Schmidt-Jortzig vermutet, daß das Karlsruher Verfassungsgericht die Drittstaatenregelung im Asylgesetz als verfassungswidrig bezeichnet. Er könnte mit so einem Urteil
taz: Herr Schmidt-Jortzig, Bundesinnenminister Manfred Kanther kann den Verfahrensablauf im Fall der hungerstreikenden Sudanesen am Frankfurter Flughafen nicht nachvollziehen. Er sagt, daß an der klaren Durchsetzung des Asylrechts festgehalten werden müsse, auch wenn die Gerichtsentscheidung die Aussetzung der Abschiebung gebiete. Welche Bedeutung hat bei einer solchen Einstellung noch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes?
Schmidt-Jortzig: Kanther ist formell juristisch auf sicherem Boden, wenn er seine Äußerung nicht konkret auf den Fall der Sudanesen bezieht, sondern die grundsätzliche Haltung seiner Behörde angesprochen hat.
Der Fall der Sudanesen gibt ein sehr eindrucksvolles Bild vom Flughafenverfahren, bei dem Flüchtlinge, wenn sie aus sogenannten sicheren Herkunftsländern kommen, über sogenannte sichere Drittstaaten oder mit ungültigen Papieren eingereist sind, in einem Schnellverfahren zurückgewiesen werden. Ist das, was man nun darüber weiß, überhaupt mit der im Grundgesetz verankerten Rechtsschutzgarantie vereinbar?
Das möchte ich bezweifeln. Ich gehe davon aus, daß die Signale, die aus Karlsruhe kommen, auch darauf hinweisen, daß das Verfassungsgericht die Drittstaatenregelung und die Regelung der sicheren Herkunftsländer so nicht passieren läßt.
Wieso halten Sie die Regelung nicht für verfassungskonform?
Obwohl das Asylrecht nach wie vor ein Grundrecht sein soll, daß heißt, der einzelne einen verfassungsmäßigen Anspruch darauf hat, bei politischer Verfolgung Zuflucht zu bekommen, wird nicht mehr der Einzelfall geprüft. Vielmehr werden Pauschalierungen vorgenommen, die eigentlich mit dem Grundrecht, dem Anspruch auf subjektive, individuelle Rechtsschutzgewähr, nicht vereinbar sind.
Würden Sie das Flughafenverfahren generell ablehnen?
Nein. Wenn es so ist, daß das Verfassungsgericht die Ergänzung des Grundgesetzartikels 16 als verfassungswidrig erklärt, dann fallen dieses Asylverfahrensgesetz, die neu hinzugekommenen Passagen des Grundgesetzartikels und die im Asylrecht dazu abgeleiteten Bestimmungen sowieso in sich zusammen. Ich könnte mir aber vorstellen, daß man sich im übrigen auf eine Beschleunigung des Verfahrens im Rahmen der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Rechtsschutzgarantie einigt.
Halten Sie das neue Asylrecht, wie Jutta Limbach sagt, für „mit der heißen Nadel gestrickt“?
Ich habe schon als Sachverständiger im Bundestag intensiv davor gewarnt, daß das so nicht gehen kann, wenn man das Asylrecht weiter als Grundrecht gelten lassen will. Man kann nicht auf der einen Seite sagen „Politisch Verfolgte genießen Asyl“ und das mit Drittstaatenregelung und der Regelung des sicheren Herkunftslandes wieder zurücknehmen. Wenn es ein Grundrecht ist – und das soll es ja bleiben –, dann gilt auch uneingeschränkt die Rechtsschutzgarantie nach Artikel 19,4 der Verfassung.
Sollten wir das Asylrecht wieder ändern?
Ich kann mir nicht vorstellen, daß Bundestag und Bundesrat erneut die Kraft aufbringen und sich zu einer gemeinsamen Regelung zusammenfinden. Ich habe damals schon vertreten – und tue das immer noch –, daß die alte Verfassungsregelung hätte beibehalten werden kann, wenn man sich auf eine strikte Beachtung der Tatbestandsvoraussetzung und effektive Einzelfallprüfung eingeschworen hätte. Was sich jetzt ja durch die Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts in all den Fällen – so auch bei den Sudanesen – ohnehin einschleift und eben einschleifen muß. Es könnte sein, daß das BVerfG sagt: Was ihr damals mit dem Artikel 16 gemacht habt, ist verfassungswidrig. Dann wären wir automatisch in der alten Rechtslage, und das wäre in meinen Augen eine Regelung, mit der die Bundesrepublik leben kann. Interview: Karin Nink
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