: Den Glauben zurückbringen
■ Res Bosshart und sein Team präsentierten den neuen Spielplan für Kampnagel
Wenn die Spielzeit-Pressekonferenz ein Maß fürs Gelingen einer Saison ist (im letzten Jahr war das so), dann darf sich die Kampnagel-Leitung diesmal schon im Vorhinein zu einer erfolgreichen zweiten Theaterzeit gratulieren. Erfrischende Selbstkritik, mit einem Augenzwinkern vorgetragen – Res Bosshart bedankte sich bei der Presse für die beißende Vorhaltung schlimmer Fehler und Dramaturg Armin Kerber gestand: „Wir hatten damals überhaupt nicht den Überblick“ – gepaart mit souveränem Auftreten und einem knappen, stimmigen Spielzeitkonzept lassen hoffen, daß das Debakel des letzten Jahres sich nicht wiederholt.
Auch daß dieser schmerzhafte Lernprozeß 500.000 Mark gekostet hat, von denen in der zweiten Hälfte der letzten Spielzeit immerhin schon 150.000 Mark abgetaut werden konnten, trübte die Stimmung aus Stolz und Optimismus nicht, die das Leitungsteam diesmal verströmte. Daß man mit dieser Saison die 350.000 Mark Restschulden abbauen wird, daran hatte der kaufmännische Leiter Jack Kurfeß nicht den geringsten Zweifel.
Welches sind nun die neuen Koordinaten, die dem Kunst- und Theaterträger die Fahrt in die warmen Regionen aus viel Publikum und guter Kritik ermöglichen sollen? Zum einen ist der Spielplan in ganz konventioneller Manier so gestaltet und präsentiert worden, daß sofort offenbar wird, wo die inhaltlichen Schwerpunkte liegen. Linien, die sich durch den Spielplan ziehen und die Sicherheit vermitteln, daß man kontinuierlich Produktionen zu bestimmten Sparten und Interessen zu sehen bekommt, lösen die unsinnige thematische Spielplanstruktur der Vergangenheit ab und erleichtern dem Publikum die Identifikation mit dem Programm.
Derartige Linien sind etwa Made in Hamburg, die Präsentation Hamburger Produzenten, teilweise in Koproduktionen, der Schwerpunkt Tanz, die Musikreihe Know No Bounds und Kinderstücke, die alle jeden Monat ihren Platz im Programm finden werden. Dazu gesellen sich die traditionellen Spartenfestivals wie Junge Hunde im Mai für den Nachwuchs oder das Kabarettfestival, das dank der Niederlassung des Organisators Ulrich Waller in den Kammerspielen nächstes Jahr zwei Spielorte haben wird. Aber auch die Einsicht, daß man die wirklichen Höhepunkte einer Spielzeit auch so präsentieren muß, hat sich inzwischen zu Bosshart und Co durchgeschlagen.
Und besonders ein Höhepunkt wird die neunmonatige Saison überstrahlen und zentrieren: Robert Lepages siebenstündiges Kunstwerk The Seven Streams Of The River Ota, das vor wenigen Wochen bei den Theaterformen in Wolfenbüttel aufgeführt wurde und über das sich weder Kritiker noch Besucher wieder einkriegen konnten, wird im Dezember für sechs Aufführungen in die k6 kommen. Auch Bosshart hatte den Begeisterungsrappel und versprach, daß dieses Stück über die tschechische Jüdin Jana Capek auf ihrem Weg von Theresienstadt nach Hiroshima all jenen, die den Glauben an das Theater verloren haben, die Hoffnung auf diese Königsdisziplin der Künste zurückgeben wird.
Weitere Höhepunkte des bombastisch umfangreichen Programms, das auf der gestrigen Pressekonferenz vorgestellt wurde und das hier nur in Auszügen wiedergegeben werden kann, sind: die neue Produktion von La Fura dels Baus, der Berliner Musikzirkus Gosh, das Actors Studio New York mit ihrer Version des Nachtasyls und als Saisoneröffnung das riesige Feuerspektakel mit Kain Karawahn feuerfrei unter Beteiligung von Käthe Be, Blixa Bargeld, Rica Blunk und anderen am 14. September.
Von den Hamburger Gruppen werden diese Spielzeit auf Kampnagel unter anderem produzieren: Max Eipp, Eva-Maria Martin, Gabriella Bußacker, COAX, Jan Pusch, gruppe a.b., Angela Guerreio/Hendrik Lorenzen und Theater Triebwerk. Diverse Performances, Konzerte, Gastspiele, Lesungen und (zur besseren Fühlungsnahme mit dem Bezirk) Flohmärkte runden ein Programm ab, dem man wünscht, es möge die alte Anziehungskraft von Kampnagel für Kulturinteressierte aller Art und allen Alters wiederherstellen.
Als kleiner Wehmutstropfen mag erscheinen, daß auch dieses Programm wieder stark entpolitisiert ist. Während in Frankreich Theaterleute um Ariane Mnouchkine im Hungerstreik sind, um auf die „Desertation der Demokratien“ in Bosnien (Erklärung von Avignon, unterschrieben u.a. von Peter Brook, Robert Wilson, Mnouchkine, Giorgio Strehler, Jacques Derrida und Jürgen Habermas) hinzuweisen (die ja seit vorgestern eine erste, viel zu späte Korrektur erfahren hat), sucht man eine Stellungnahme der Hamburger Kulturproduzenten in Form eines Programms, eines Podiums, einer Erklärung, was auch immer, vergebens. Daß der Ort für derartige selbstverständliche Äußerungen in Hamburg nur noch das Schauspielhaus ist, ist angesichts der Geschichte des Freien Theaters schon ein wenig bitter.
Till Briegleb
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