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Ruhe sanft, kleine Aster! Von Klaudia Brunst

„Hach, ist das trostlos!“ meinte meine Freundin letzten Samstag beim Frühstück. „Mit diesem Sommer ist es wohl vorbei.“ Voller Mitgefühl folgte ich ihrem trüben Blick durch unser Küchenfenster in den Hinterhof, wo sich die Regenpfützen langsam zu riesigen Wasserlachen ausbreiteten. „Etwas Buntes wäre jetzt schon irgendwie tröstlich.“

Weil meine Freundin an diesem Morgen ihre Tage – und also eine ausgewachsene menstruelle Depression – bekommen hatte, befürchtete ich schon das Schlimmste, als sie sich seufzend erhob und langsam das Fenster öffnete. Aber sie hatte nur die verwelkten Blüten von den vertrockneten Balkonblumen zupfen wollen. Trotz der aufopfernden Pflege durch unsere Nachbarin hatten die zarten Pflänzchen während unseres Urlaubs den Kampf mit dem Jahrhundertsommer verloren.

„Weißt du was“, meinte ich etwas später betont munter, als wir auf dem Weg in den Konsum an einem dieser „Blume 2000“-Läden vorbeikamen, „jetzt kaufen wir uns ein paar schöne Herbstpflanzen fürs Küchenfenster. Sollst mal sehen, dann geht es dir gleich viel besser.“ Mit einem zweifelnden Blick, erst auf den Regen und dann auf mich, willigte meine Freundin zögernd ein, quälte sich aus dem Auto und tapste dann auf deprimierende Weise traurig der verregneten Auslage des Geschäfts entgegen. „Wie wäre es denn hiermit“, meinte ich und hielt ihr ein gelbes Sonderangebot unter die Nase. „Begonien?“ antwortete sie leise, „die haben wir immer auf das Grab meiner Oma gepflanzt.“

Peinlich berührt über meine Taktlosigkeit griff ich sofort zu einem anderen Töpfchen. „Die sind doch wirklich schön.“ – „Kleine Astern?“ flüsterte meine Freundin nun kaum noch hörbar, „das ist Gottfried Benn. Wie geht das noch gleich?“ Und da stand sie dann da, mitten auf dem Bürgersteig, und rezitierte mit tonloser Stimme: „Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt. / Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster / zwischen die Zähne geklemmt. / Als ich von der Brust aus / unter der Haut / mit einem langen Messer / Zunge und Gaumen herausschnitt, / muß ich sie angestoßen haben, / denn sie glitt / in das nebenliegende Gehirn. / Ich packte sie ihm in die Brusthöhle zwischen die Holzwolle, / als man zunähte. / Trinke Dich satt in Deiner Vase! / Ruhe sanft, / kleine Aster!“

Lange sagten wir beide kein Wort. Dann meinte ich zartfühlend: „Du hast recht. Da könnte ich auch keinen Bissen mehr runterkriegen.“ Der Regen prasselte immer noch auf uns hernieder, während wir, Pflanze für Pflanze, Topf für Topf, das gesamte Sortiment von „Blume 2000“ abschritten. Aber nichts, aber auch gar nichts konnte uns wieder aus diesem literarischen Tief herausholen. Schließlich fiel unser Blick auf ein kleines Kistchen, das wir bisher völlig übersehen hatten. „Hach, das ist doch irgendwie schön“, erhob meine Freundin da fast wieder fröhlich ihre Stimme und zeigte auf einen unglaublich teuren, weil winterharten Efeu. „Mehrjährig ...“, las sie seufzend von dem kleinen Schildchen ab. „Das hat doch irgendwie etwas tröstlich Lebendiges.“

„Da werden Sie lange viel Freude dran haben“, meinte eine Verkäuferin im Vorübergehen, „als Friedhofsbepflanzung ist der Efeu einfach unübertroffen.“

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