: Auf dem Loser-Ticket
■ Scharping gewinnt nichts durch Schröders Rauswurf
Der Prozeß der sozialdemokratischen Selbstzerstörung schreitet munter voran. Wer glaubt, daß nunmehr ein quälendes Duell seinen vorläufigen Ausgang gefunden hat, ist schief gewickelt. Denn mit Gerhard Schröders Rauswurf als wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Partei wurde weder ein Machtwort gesprochen noch ein Dauerstreit beendet.
Eher wird man sich im Erich-Ollenhauer-Haus fragen müssen, warum die zahlreichen Querschüsse dem Welfengockel keine Einbußen in der Publikumsgunst eingetragen haben. Im Gegenteil: Schröder rangiert bei der Kanzlerfrage sogar vor Kohl. Hat Scharpings autistische Performance am Ende dazu geführt, daß man ihn demoskopisch ungestraft „verraten“ darf? Oder ist Schröders wirtschaftspolitische Kompetenz mittlerweile so unbestritten, daß der ohnehin nur noch abstoßende Knatsch der Spitzensozis kaum noch rufschädigend ins Gewicht fällt?
In einer Partei, in der sich bis auf Herrn Dreßler und Frau Matthäus- Maier nahezu jeder Spitzenpolitiker auf Kosten des traditionellen sozialdemokratischen Mainstreams zu profilieren versucht, sind Schröders abweichende Positionen nur schwer vorwerfbar. Fast hat man den Eindruck, als sei vielen der eher unbeholfenen Genossen die atemberaubende Medienkompetenz des niedersächsischen Ministerpräsidenten unheimlich. Was Wunder, daß nunmehr über die Auswahl des Sündenbocks Schröder eine neue Identifikation in dieser Partei gewonnen werden soll. Was auf den ersten Blick wie ein normaler gruppendynamischer Prozeß aussehen mag, ist jedoch in Wahrheit die Identitätsstiftung auf dem Loser-Ticket.
Denn Scharping zahlt für das Niederhalten Schröders den hohen Preis des Modernisierungsverlustes. So scheint sich Hauptbündnispartner Oskar Lafontaine momentan auf die wenig glückliche Rolle eines Tony Benn in der SPD zu versteifen, wo doch eher ein Tony Blair vonnöten wäre.
Schröders Dressur mag sicher nicht als Testfall für die Integrationsfähigkeit Scharpings taugen. Dessen Überleben hängt vielmehr von einer Profilierungsalternative zum Kanzler und von Wahlerfolgen ab, die freilich bei den kommenden Landtagswahlen kaum zu erwarten sind. Aus Scharpings Kampfkonsens gegen Schröder erwächst dem Vorsitzenden keine neue Autorität und damit der Partei auch keine neue Stärke. Außerdem wird der Geschaßte Scharpings drakonische Maßnahme als SPD-Abkehr von der Wirtschaft auszuschlachten wissen. Norbert Seitz
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