: "Blavatzkys Kinder" - Teil 44 (Krimi)
Teil 44
Schulte teilte seine Truppe in vier Einheiten zu je fünfzehn Soldaten ein. Alle trugen braune Uniformen mit schwarzglänzenden Koppeln, schwarzen Knöpfen und Litzen.
* * *
Das Telefon schrillte.
„Ja.“
„Paul.“
Der Hotelwecker zeigte Mitternacht.
„Drabert, Sie können weiterschlafen, wenn Sie versprechen, morgen früh um fünf Uhr bei mir in der Klinik aufzukreuzen.“
„Was ist los?“
„Fünf Uhr“, sagte Paul und legte auf.
Fünf Minuten später war Drabert mit Duschen fertig, warf sich in seine Kleidung, suchte seinen Autoschlüssel und raste zur Klinik. Die Nachtschwester verbat ihm, Paul zu wecken.
„Der hat mich geweckt. Ein Notfall!“
Sie glaubte ihm kein Wort. Aber dieser Patient hatte es in sich. Sie gab nach.
„Was machen Sie denn hier?“
„Raus mit der Sprache, was ist los?“
„Wie spät ist es?“
„Halb eins.“
„Gehen Sie schlafen.“
Drabert zog einen Stuhl ans Bett.
„Du sagst, was los ist. So lange bleibe ich.“
„Auch gut. Verabschiede mich ins Koma bis fünf Uhr. Wecken Sie mich. Dann gibt's Nachrichten.“
Drabert legte die Füße auf das Fensterbrett und schlief ein.
* * *
Benjamin hörte die leisen Schritte als erster. Er zog sich an und ging auf Zehenspitzen aus dem Schlafsaal. Er sah sich noch einmal um und knallte, während er sich drehte, mit dem Gesicht auf den weißgeschürzten Bauch von Schwester Elisabeth.
„Hab ich dich.“
Die Schwester zerrte ihn am Ohr zurück in den Schlafsaal, wählte zehn Kinder aus und ließ sie in Reih und Glied anstehen.
„Zieht euch an.“ Sie wartete. „Abmarsch!“
Sie führte die Kinder in einen unterirdischen Gang, der hinter dem Schloß in den Wald mündete.
* * *
Etwa zweihundert Polizisten näherten sich der Kleinstadt. Menschen beugten sich aus den Fenstern. Manöver, dachten sie und betrachteten die Einsatzwagen. Motorenlärm lockte ihren Blick nach oben zu den beiden Hubschraubern.
„Reinhart, wie lange braucht ihr noch?“ fragte Drabert in das Funkgerät.
„Noch ... etwa eine ... halbe Stunde“, antwortete der Staatsanwalt, der neben dem Einsatzleiter in einem Pkw saß.
„Wir halten uns zurück, damit sie uns gleichzeitig bemerken.“
Etwa fünfzig Meter vom linken Seitenflügel des Lebenshofs entfernt befand sich, verborgen unter Laub, eine Falltür zu einem unterirdischen Gang. Ursprünglich sollte er die Flucht aus dem Gebäude sichern, nun verhalf er der Hälfte von Schultes Armee, in den Lebenshof einzudringen. Die andere Hälfte sollte den Lebenshof von außen angreifen.
„Den Kampf nach zwei Seiten werden sie schnell verlieren.“ Schulte setzte seine Stoppuhr in Gang. „Los!“ Fünfzig Mitglieder der Wehrsportgruppe Schulte setzten sich in Bewegung.
* * *
Drabert sah nervös auf seine Uhr. Zum hundertsten Mal verfluchte er Miriam und Robert. Unglaublicher Leichtsinn, sich auf irgendwelche linken Freaks zu verlassen.
„Noch eine Viertelstunde“, meldete der Staatsanwalt.
* * *
Der winzige Säugling öffnete den Mund und pumpte Luft durch die Kehle. Heraus kam nur ein ächzendes Geräusch. Die winzige Frühgeburt wollte schreien und brachte es nicht fertig. Seine Haut war mit rötlichen Pusteln bedeckt. An beiden Beinen sahen sie Ekzeme. Durch die Haut schimmerten die Adern. Das Kind war nackt. Ein kleines Mädchen. Entlang ihrer Kehle verlief eine häßliche Narbe von links nach rechts. Am Kopf waren Elektroden befestigt. In beiden Ärmchen, die dünn waren wie Männerdaumen, steckten Infusionsnadeln.
Sie wandten sich dem nächsten Bettchen zu.
„Es sind zwölf. Elf sind belegt“, flüsterte Karo.
Keines schrie, aber einige sahen aus wie schreiende Kinder. Als hätte ihnen jemand die Lautstärke abgedreht. Sofern ein Kind bei Bewußtsein war, röchelte es oder keuchte heiser. Alle sahen krank aus.
Im Vorraum stand ein Schreibtisch. In der obersten Schublade lag ein Buch. Auf einem weißen Aufkleber war vermerkt: „Versuchsreihe Nr. 2. Vom 1. 1. 1995 bis ...“ Miriam blickte kurz hinein und fand die Kinder numeriert und mit kurzen Vornamen, die alphabetisch geordnet worden waren von Christina bis Rjako. Sie schaltete den Computer auf dem Schreibtisch ein.
„Nehmt mit, was ihr an Notizen findet“, rief sie. Aus ihrem Rucksack holte sie ihr optisch-magnetisches 3,5-Zoll-Mini-Wechselplattenwerk. Die Festplatte der Kinderschlächter war mit 316 Megabyte beladen. Ihre Wechselplatte faßte 1.000 MB. Sie fand den passenden Anschluß auf der Rückseite des Computers und verband die Geräte.
Befehl: Inhalt Festplatte rüberbeamen.
* * *
Schulte war mit seinen Braununiformen ins Haus gedrungen. Er öffnete die Tür, die aus dem geheimen Gang in den Keller führte. Hier unten war alles ruhig.
Fortsetzung folgt
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