: Aus dem Buschkrieg in den Staatsrat
■ Nach fast sechs Jahren Bürgerkrieg hat Liberia wieder eine Regierung
Berlin (taz) – In sechs Jahren Bürgerkrieg hat das westafrikanische Liberia viele Waffenstillstände erlebt. Jetzt ist zum ersten Mal auch jener Teil eines Friedensabkommens Wirklichkeit geworden, der die Bildung eines Allparteienstaatsrats mit Kabinett vorsieht. Nun ist schon seit zwei Wochen Frieden in Liberia, und laut UNHCR sind in der ersten Woche des Waffenstillstands 12.000 Flüchtlinge aus dem Ausland zurückgekehrt – von 800.000.
Der Krieg hat ein Zehntel der liberianischen Bevölkerung das Leben gekostet, ein Drittel lebt im Ausland, die anderen zumeist als Flüchtlinge in den großen Hafenstädten. Seit etwa zwei Jahren haben westafrikanische Vermittler regelmäßig die Kriegsherren von Liberia an den Verhandlungstisch gebracht und Abkommen unterschreiben lassen. Leider lehnte dann immer der eine oder andere die Einigung ab.
Die Kriegswirren verwüsteten große Teile Liberias, ungehindert plünderten die Warlords die Ressourcen des Landes – und die Bevölkerung wurde immer unzufriedener. Anfang dieses Jahres wurden mehrere Milizenführer von Tausenden aufgebrachten Bewohner der Hauptstadt Monrovia fast gelyncht, als sie wieder mit leeren Händen von Friedensgesprächen in Ghana zurückkehrten. Auch die internationalen Vermittler verloren die Geduld: Mehrere Länder zogen ihre Soldaten aus der afrikanischen Eingreiftruppe „Ecomog“ ab, und im Juni drohte die UNO, sich ab 15. September aus Liberia zurückzuziehen.
Dieses Ultimatum war überraschend wirkungsvoll. Seit Ende 1994 war die Friedenssuche an einem Punkt festgefahren: der Bestimmung des Stammeschefs der Region Loffa, Tamba Tailor, zum Vorsitzenden des geplanten Staatsrats. Als sein Stellvertreter war Charles Taylor designiert, der Führer der Guerillabewegung „Nationalpatriotische Front“ (NPFL) und mit Abstand mächtigste Kriegsherr des Landes. Taylor rechnete sich aus, daß er bei diesem Arrangement faktisch Präsident werden würde, da der 90jährige Tamba Tailor als Staatsmann eigentlich völlig ungeeignet sei. Nur erkannten das auch die anderen Kriegsfürsten und lehnten dieses Konstrukt prompt ab.
Nach Monaten, in denen Charles Taylor sich gegen eine Neuverhandlung sperrte, führte das UN- Ultimatum zum Nachgeben des NPFL-Führers, der ohnehin militärische Rückschläge zu verzeichnen hatte. Der am 19. August in Ghana unterzeichnete Friedensvertrag sieht nun anstelle von Tamba Tailor den Hochschullehrer Wilton Sankawulo als Präsidenten vor. Im Staatsrat, der zwölf Monate amtieren und freie Wahlen vorbereiten soll, sitzen die drei wichtigsten Kriegsherren: Charles Taylor, Alhaji Kromar von der „Vereinigten Befreiungsbewegung“ (Ulimo) und George Boley vom „Liberianischen Friedensrat“ (LPC). Dazu kommen drei Zivilisten. Bisheriger Höhepunkt des Friedensprozesses war die feierliche Amtseinführung der neuen Regierung in Monrovia am vergangenen Wochenende. Charles Taylor entschuldigte sich vor Zehntausenden von Zuschauern für den blutigen Bürgerkrieg, dessen Verlauf wohl „nicht allen völlig gefallen“ habe. Und er sagte: „Wir übernehmen die volle Verantwortung für die Unzulänglichkeiten während der Volkserhebung.“
Nach wie vor sieht sich Taylor als Volkstribun und Gewinner eventueller Präsidentschaftswahlen. Man kann damit rechnen, daß seine Kollegen im Staatsrat alles unternehmen werden, um dies zu verhindern. So ist der Krieg noch nicht vorbei, aber zumindest sind seine Führer jetzt politisch in der Pflicht. Dominic Johnson
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