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„Der war doch immer für die Jungs da“

■ Sexuelle Übergriffe eines Fußballtrainers überschatten 90-Jahr-Feier des ATSV-Sebaldsbrück

„Wir singen ja, ja, jippie, jippie, jeh“, trällert die blonde Frau ins Mikrophon und schwingt beide Arme im Takt. „Und jetzt alle...“ Doch so sehr sich die Moderatorin auch bemüht, das Publikum mitzureißen – im Festzelt kommt keine Stimmung auf. „Wundert Sie das etwa?“, fragt eine Sportlerin. „ATSV“ prangt in großen, schwarzen Buchstaben auf ihrem Sweat-Shirt. 90 Jahre wird der Sebaldsbrücker Sportverein an diesem Wochenende. Zwei Wochen vor dem Jubiläum hatte der Vorstand erfahren, daß der Jugend-Fußballtrainer Horst P. unter Verdacht steht, mindestens 20 Jungen im Alter von zehn bis 14 Jahren sexuell mißbraucht zu haben. Der Trainer wurde sofort beurlaubt. Wenige Tage später warf er sich vor einen fahrenden Zug. Ein 21jähriger Betreuer wird ebenfalls beschuldigt. Er ist aus beruflichen Gründen vor einiger Zeit aus dem Verein ausgeschieden. Gegen ihn wird derzeit ermittelt.

„Ich steh' zu meinem Verein“, sagt die Frau im Sweat-Shirt und nickt heftig mit dem Kopf. „Schwarze Schafe gibt es überall, und der Verein kann schließlich nichts dafür.“ Die meisten Stühle im Festzelt sind an diesem Samstag nachmittag leer. Die etwa 100 BesucherInnen, darunter viele Kinder, tummeln sich in den ersten Reihen vor der Bühne. Die Melodie von „La Paloma, ohe“, dröhnt aus den Lautsprechern. Eine Tanzgruppe wagt die ersten, vorsichtigen Schritte auf dem hölzernen Parkett. „Wir wollten das Fest absagen, aber wir haben es uns anders überlegt“, sagt Hartmut Schneider, erster Vorsitzender. „Die Vorbereitungen haben ein dreiviertel Jahr gedauert. Die Leute haben geprobt, die Kinder haben sich gefreut. Außerdem hätte das sehr viel Geld gekostet.“

„Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen“, betont auch sein Stellvertreter Heinz Schwenn. „Uns sitzt der Schock noch in den Knochen. Keiner kann glauben, daß der P. das gemacht haben soll“, sagt er und schüttelt den Kopf. „Ich bin 25 Jahre im Verein. Wir haben schon viel durchgemacht. Unsere Hallen wollten sie dichtmachen – wegen der Asylbewerber. Wir haben demonstriert und Kreuzungen dichtgemacht. Aber sowas...“

30 Jahre war Horst P. Mitglied im ATSV. „Der war in seiner Freizeit nur auf dem Fußballfeld“, weiß ein Vereinsmitglied. „Fußball war sein Leben. Der war doch immer für seine Jungs da. Ein echter Kumpel halt. Es konnte ja niemand ahnen, wie das wirklich war.“

„Die Gerüchte sind schon seit zwei, drei Jahren bekannt“, erzählt hingegen der Vater eines elfjährigen Jungen. Sein Sohn gehört nicht zu den Kickern. „Ich weiß es aber von einem Kind aus der Nachbarschaft. Die Eltern haben ihren Sohn aus dem Verein genommen, aber keine Anzeige erstattet.“

„Der hat die Kinder doch immer zu sich nach Hause eingeladen“, berichtet auch ein anderer Vater. „Gemunkelt wurde schon lange was. Ich glaube, keiner wollte es so richtig wahrhaben.“ „Sehen Sie diese Begeisterung?“ fragt Schneider und deutet mit der Hand auf die Judoka, die sich mit lautem Knall gegenseitig auf die Matte schmeißen. Daß die „Sache von den Medien ausgerechnet jetzt“ veröffentlicht worden ist, ärgert ihn sehr. „Nächste Woche hätte ich nichts gesagt – aber ausgerechnet jetzt vor dem Fest. Wir haben 1050 Mitglieder, 50 Übungsleiter und zehn Abteilungen“, zählt er auf. „Nun ist ein schwarzes Schaf darunter, und da wird so ein Aufsehen von gemacht. Er hat das ja in seiner Freizeit gemacht. Der hat sich den Teil zwar hier aus seiner Arbeit rausgezogen. Zugegeben. Aber was in seiner Wohnung passiert, können wir nicht wissen.“

Daß der Trainer seine Kicker auch auf Ausflügen und unter der Dusche „betatscht“ haben soll, hält Schneider für „Quatsch“. „Dann hätten wir das ja mitbekommen“, ist er sich sicher. „Das ist wieder typisch“, pflichtet ihm Stellvertreter Heinz Schwenn bei. „Jetzt heißt es, da habe es Gerüchte gegeben. Aber an uns ist nie was herangetragen worden.“ Schneider und Schwenn haben seinerzeit P. zur Rede gestellt. „Der war wie vor den Kopf geschlagen“, erinnert sich Schwenn. „Er hat gesagt, ich kann nur noch auswandern oder mich vor den Zug werfen.“ „Er hat zugegeben, daß er den Jungs wohl mal Pornos gezeigt hat. Aber sonst war er sich keiner Schuld bewußt“, fügt Schneider hinzu. „Glauben kann ich das immer noch nicht“, seufzt Schwenn. „Er war so zuverlässig und nett. Der muß wie zwei Personen in einer gewesen sein.“

Hinter der Entscheidung, das Fest trotz allem zu feiern, steht der Vorstand nach wie vor. „Wir haben hier eine soziale Aufgabe zu erfüllen“, gibt Schneider zu bedenken. „Wir werden mit den Eltern reden. Die Jugendlichen müssen besser aufgeklärt werden. Es muß weitergehen. Auch wenn es schwerfällt.“

kes

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