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„Ich habe gelernt, die Menschen zu verstehen“

■ Eine arbeitslose Sozialarbeiterin im Kampf gegen das Elend im spanischen Barcelona

Eine Umarmung, die zwei obligatorischen Küßchen, ein „Ciao Rosa“, und Montse Parts steigt mit traurigem Gesicht die ausgetretene Treppe hinab. Die schäbige Haustür fällt hinter ihr ins Schloß, Müllgestank schlägt ihr entgegen. „Am Anfang, vor sechs Jahren, dachte ich, daß ich mich nie an all das gewöhnen würde“, erinnert sie sich an die ersten Tage im El Raval, dem Rotlichtbezirk Barcelonas. Nur wenige Schritte von der Flaniermeile Las Ramblas entfernt regieren Elend, Drogen und Prostitution. Montse betreut zweimal die Woche Familien – „ehrenamtlich“, erklärt die 28jährige arbeitslose Sozialarbeiterin stolz.

Bei Rosa ging sie in den letzten Jahren regelmäßig ein und aus. Sie wohnt mit ihrem zweiten Mann und dem 15jährigen Sohn Juan in einer dunklen Einzimmerwohnung. „Vorladung zum Jugendgericht“, liest Rosa vor. „Sie haben Juan wieder mal erwischt, ein Autoradio war es diesmal.“ Es ist bereits das zweite Verfahren dieser Art, eine Jugendstrafe ist wahrscheinlich.

Vor sechs Jahren meldete sich Montse Parts als Betreuerin bei Fun Esco. Die Stiftung wurde von Ärzten und Lehrern ins Leben gerufen, um die Kinder aus dem ärmsten Stadtteil Barcelonas in den Sommerferien von der Straße zu holen. Spiele, Ausflüge und Bastelangebot gehören zum Programm für die 400 Kinder. Ganz nebenbei werden sie ärztlich untersucht, für viele ist es das erste Mal. „Sehr schnell merkten wir, daß viele der Kinder ernsthafte Probleme hatten: Krankheiten, Unterernährung, Mißhandlungen ...“

Die Idee einer Familienbetreuung war geboren. 60 ehrenamtliche Fun-Esco-Mitarbeiter stehen seither den Familien mit Rat und Tat zur Seite, weitere zehn arbeiten im Rahmen der Alphabetisierung. Im Sommer kommen 400 Betreuer im Zwei-Wochen-Rhythmus für die Stadtranderholung hinzu. Die meisten Mitarbeiter sind kaum älter als die Kinder, die sie betreuen.

Staatliche Subventionen gibt es nur für die Kinderfreizeit, den Rest finanziert Fun Esco über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Seit 1990 greift das Katalanische Institut für Ehrenamtliche (InCaVol) der Regionalregierung den Gruppen unter die Arme. Mit öffentlichkeitswirksamen Kampagnen werden mehr Leute für ehrenamtliche Tätigkeiten gewonnen. Wer Interesse hat, füllt eine Karteikarte aus. Je nach Kenntnissen und Interesse wird die Person dann an eine Organisation vermittelt. 500.000 Katalanen, acht Prozent der Bevölkerung, sind in ihrer Freizeit ehrenamtlich engagiert, doppelt so viele wie im übrigen Spanien.

Auf dem Rückweg zum Fun- Esco-Büro wird Montse mehrmals von Frauen aufgehalten. „Die Mütter der Stadtrandkinder“, erklärt sie. Für umgerechnet 40 Mark verkaufen sie ihren Körper: 25 gehen für das Zimmer drauf, der Rest ist der Lohn. „Die Mutter auf dem Strich, ein Bruder im Knast, ein Vater, der an Aids gestorben ist. Das ist hier Alltag.“

Das Ziel von Fun Esco ist die Hilfe zur Selbsthilfe. „Auch wenn es oft einfacher wäre, das Kind zu schnappen und es in der Schule anzumelden, versuchen wir die Eltern dazu zu bringen, ihre Verantwortung wahrzunehmen“, sagt Montse. Es gibt immer wieder Rückschläge. „Das bitter erkämpfte Kleidergeld wird verspielt, der Arbeitsplatz geht verloren, weil der Typ ständig verschläft.“ Aber eines nimmt Montse von hier mit: „Ich bin vom hohen Roß der Mittelstandstochter heruntergekommen und habe gelernt, die Menschen besser zu verstehen.“ Reiner Wandler, Barcelona

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