■ Normalzeit: Die Kunst der Willensbildung
Ein Sonntagsdienstler auf der meteorologischen Station der FU in Dahlem verriet mir einmal seine „Zwischenhoch“-Findung: „Das ist wahrscheinlich vom Typ des Meteorologen abhängig. Ich zum Beispiel bin optimistischer als meine Kollegen und verwende deswegen öfter diesen Begriff, wenn zwischen einem und dem anderen Tief eine gewisse Lücke klafft.“ Ähnlich sieht es bei den Wirtschaftsforschern aus. Ein inzwischen ausgeschiedener Ostler aus dem Wirtschaftsforschungsinstitut in Halle meinte: „Die Denkverbote funktionieren dort wie früher. Bestimmte negative Tendenzen dürfen wir nicht prioritär verwenden, ganze Begriffe sind regelrecht tabu.“
Der Wille zum „Geschehen beeinflussen“ durch strategische Informationssteuerung geht bis zur Ausblendung kompletter Ereignisse. Zum Ausgleich für die deutsch-gründliche Behandlung polnischer Arbeitsuchender in Frankfurt (Oder) durch die dortige Polizei, berichtete der SFB aufwendig über das anschließend stattfindende „deutsch-polnische Sommerfest“: „Es herrscht da eine erfreuliche Normalität“, fanden die Reporter heraus und daß „die Musik des Polizeiorchesters besonders gut ankam“.
Was sich in diesem Fall vielleicht noch wie die am Zensor vorbeigemogelte Sprache des Vormärz anhört, kann im andern schon mit dumpfem Schwung im Faschismus landen: So wenn der im Wittenauer Schiesser-Backkonzern für Finanzen zuständige Vorständler seine im Osten überaus aktive Geschäftsleitung ständig als „oberste Heeresleitung“ bezeichnet, oder wenn die westdeutsche Eismann-Konzernzentrale ihre „Family-Frost“-Franchise-Nehmer im Osten erst mit Wahnsinnsversprechungen in die völlige Überschuldung treibt und ihnen dann, Ende 94, eine „Winterhilfe“ zur „einmaligen Unterstützung“ zukommen läßt. Geradezu groteske Züge nahm das Rommel-Remake von Rühe (bei seiner Landung in Somalia) an, als er den versammelten Journalisten mit großer Geste die ebenso gewaltige wie ökologische Gestaltungsleistung der Bundeswehr-Männer vor Ort zeigen wollte und dabei in die Landschaft ringsum wies: alles Wüste. „Das hätten Sie mal vorher hier sehen sollen. Die reinste Russenpiste!“ Dagegen klingen die Debatten um die „Buschzulagen“- Steuer eher an die Zeiten der Finanzierung des Ersten Weltkriegs an.
Aber wird die Postmoderne nicht sowieso als Fusionierung sämtlicher Stilarten und Epochen gefeatured? Alles Zitat! Um mehr als Perlen-in-die-Augen- Streuen ging es bei dem Berliner CDU-Versuch, die Interhotel- Pleite von Guttmann und Groenke (Trigon) im letzten Moment politisch abzuwehren. Nachdem der Finanzsenator über die jüdischen Restitutionsansprüche und insbesondere gegen deren Bearbeiter und noch konkreter gegen die Tabfin AG und die Revitam GmbH geschimpft hatte, die durch ebenso klienten- wie gewissenlose Anträge alles bloß verzögern und dadurch zum Beispiel die Interhotels gefährden, begann stracks die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) zu ermitteln. Jedenfalls ließ ihr Leiter das sofort laut werden, und dafür fand sich dann sogar ein TV-Sender und ein linker Journalist, der diese vermeintliche Sauerei flugs verfilmte. Da aus den „Ermittlungen“ nichts folgte und die Pleite ebensowenig abgewendet wurde, kann man hierbei von reinem Marketing sprechen, genauer noch: von „Nischen-Strategien“.
Jüngst stellte der SFB dazu in einer Fernsehsendung drei Berliner Betriebe mit ihren Marktanstrengungen vor, wozu unter anderem die Batteriefabrik Belfa gehörte. Der Beitrag war in diesem Fall durch eine „Anregung“ des professionell mit dem puschen von Ostbetrieben befaßten SPD-Managers Klaus von Dohnanyi zustandegekommen. Einer der für Marketing verantwortlichen Geschäftsführer aus den drei vom SFB porträtierten Firmen meinte dazu später: „Wir puschen also wie blöd, was fehlt, ist bislang noch der Pull-Effekt!“
Helmut Höge
wird fortgesetzt
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