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Ich möchte lachen oder heulen!

Solange ich im Fanblock stehe, bin ich Fanblock-Fan. Hauptsache, der FCK gewinnt. Komme ich beruflich, ist es mir nicht wurscht, wenn sie schlecht spielen  ■ Von Marcel Reif

Marcel Reif hat den richtigen Sound. Er ist kein flotter Plauderer, der über das Spiel hinwegschwadroniert. Er versteht, was auf dem Rasen passiert und im Stadion. Das spürt man. So ist er vom dereinst mißtrauisch beäugten Quereinsteiger zum unbestrittenen Lieblingsreporter der meisten Fußballzuschauer geworden. Und weil er darüber zum Star wurde, wirbt er in der Halbzeitpause von Fußballübertragungen für Bier. Nun sitzt er, wie immer kunstvoll unrasiert, in seinem Büro an der Aachener Straße in Köln. Aber, ist Marcel Reif überhaupt Fußballfan? „Ja“, sagt er, ohne zu zögern. „Ja, ich bin Fan!“

Eine meiner frühesten Erinnerungen hat mit Fußball zu tun. Da muß ich drei Jahre alt gewesen sein, und wir haben noch in Warschau gelebt. Mein Vater hat mich ins Stadion mitgenommen. Und zwar zu einem Verein, der heute Legia Warschau heißt, früher war das der Zentrale Armee-Sportklub. An diesen ersten Besuch habe ich ganz klare Erinnerungen. Ich höre noch die Musik, die da gespielt wurde. Die Spieler gingen an mir vorbei, sie hatten sich gerade auf einem Nebenplatz warmgemacht. Das ist ein so klares Bild, das könnte ich sofort nachstellen. Von daher ist das, was ich heute mache, wohl eine logische Konsequenz. Damals bin ich fußballverrückt geworden.

Bald darauf sind wir nach Kaiserslautern gezogen. Und meine Kindheit habe ich auf dem Betzenberg verbracht. Das erste Mal war ich mit sieben oder acht da, das war etwa 1957. Und dann bin ich immer hingegangen. Was hatten wir denn sonst? Kaiserslautern war eine riesige amerikanische Garnison mit viel Wald drumherum. Die Identität der Stadt hat sich damals noch viel mehr über den 1. FC Kaiserslautern definiert als heute. Als C-Jugendliche haben wir das Vorspiel zum ersten Bundesligaspiel des FCK gemacht. Unsere Trikots waren noch aus Baumwolle, unifarben und nicht glänzend. Die Farbe von Lautern war weinrot, und die von Köln schneeweiß. Alles war ganz simpel und fürchterlich einfach. Und ich war ein Teil des 1. FC Kaiserslautern. Ich bin immer mit meinem Vater zum Stadion raufgefahren. Dort haben wir uns dann getrennt. Er hatte seine Dauerkarte auf der Tribüne, und ich bin mit meiner Westkurven- Karte losgetigert. Und von da habe ich mein Idol bejubelt. Das war der Holländer Co Prins. Er war Genie oder elender Flegel. Prins hatte immer die Socken runtergezogen und das Hemd über der Hose hängen. Das wollte ich nachmachen, aber der Schiedsrichter hat es nicht erlaubt. Damit war die Hälfte meiner Wirkungsmöglichkeiten beschnitten.

Für den FCK habe ich bis zur A-Jugend gespielt, und das relativ erfolgreich. Ich bin in die Südwest- Auswahl und die süddeutsche Auswahl berufen worden. Irgendwann wurden das Studium und der Beruf immer deutlicher, während die eigene Kick-Perspektive langsam verschwand. Damals habe ich manchmal im Stadion gesessen und gesagt: Mensch, das kannst du doch auch. Irgendwann war der eigene Bezug weg, und es ging wieder um die Frage: Gewinnt Kaiserslautern oder nicht? Und so ist das bis heute.

Als ich noch beim ZDF gearbeitet habe, bin ich samstags oft zum Betzenberg gefahren, wenn ich nicht in einem anderen Stadion arbeiten mußte. Das ging dann weiter mit meinem Sohn, der nun infiziert war. Wenn ich mal nicht wollte, hat er gesagt: „Laß uns gehen!“ Und dann sind wir zusammen gefahren. Beim 1. FC Kaiserslautern gestehe ich sogar, daß es mir da manchmal egal ist, wie sie spielen. Hauptsache sie gewinnen. Da bin ich ein äußerst schlichter Fan, ein Fanblock-Fan. Sobald es aber über diesen 1. FC Kaiserslautern hinausgeht, den ich beruflich wenig begleite, ist es mir nicht wurscht, wie gespielt wird. Dann will ich nur guten Fußball sehen. Und als Reporter bin ich genauso Fan. Wenn es ein gutes Fußballspiel gibt, habe ich einen Heidenspaß. Wenn nicht, bin ich zutiefst beleidigt. Wenn es toll ist, lasse ich mich auch gerne mitreißen. Nicht durch das Rotlicht oder das Fernsehereignis, sondern durch das Fußballspiel. Obwohl ich manchmal denke, wenn ich das im nachhinein höre: Mein Gott, jetzt hör doch mal auf zu schreien!

Ich will das mal an zwei konkreten Beispielen erklären. Das eine war in Barcelona 1989: Stadion Nou Camp, vollbesetzt bis obenhin, Milan gegen Bukarest. Endstand 4:0 und das schönste Fußballspiel, an das ich mich erinnern kann. Für einen Reporter war das ein Traum. Allein vom Erzählen bekomme ich eine Gänsehaut. Du brauchst bloß ins Stadion hereinzukommen und denkst schon: Jawoll! Und dann spielen die auch noch so. Hinterher bin ich weggegangen, war schweißgebadet und habe gedacht: Genau so muß es sein!

Das andere Beispiel war zwei Jahre später in Bari. Europapokalfinale: Roter Stern Belgrad spielt gegen Olympique Marseille. Freunde, was wollt ihr mehr? Das wird ein Traum! Und dann sitze ich auf meinem Reporterplatz, drücke nach zehn Minuten auf die Räuspertaste und sage zu meinem Kollegen: Weißt du, was die da unten machen? Die spielen beide auf null zu null und Elfmeterschießen. Dann guck' ich noch mal auf die Uhr und weiß, es dauert noch 110 Minuten, bis passiert, was beide wollen. Ich war zutiefst beleidigt. Das war eine Frechheit! Da mußten mir meine Kollegen helfen, daß ich da nicht ausraste und die ganze Zeit nur schimpfe. Da ist die Fanperspektive ganz simpel gewesen.

Ich bin am Anfang beim Sport deshalb angegriffen worden, weil ich den Zuschauern angeblich den Spaß am Fußball durch zuviel Kritik verdorben hätte. Dabei kamen die Beschwerden kaum von den Zuschauern, sondern eher von den Mitgliedern dieses geschlossenen Kreises im Fußball. Daß ich vom politischen Journalismus kam, war für Leute wie Beckenbauer Blasphemie: „Da habt ihr einen, der soll besser politische Kommentare sprechen.“ Dabei bin ich relativ naiv zum Sport. Wenn es gut war, war's gut. Wenn nicht, dann nicht. Ich kriegte nämlich plötzlich das Gefühl, daß politischerJournalismus, wie ich ihn im „heute-journal“ zu machen hatte, nicht sehr redlich war. Da geht man morgens ins Archiv, liest ein paar Agenturmeldungen und schwadroniert abends mit sonorer Stimme über Nicaragua und am nächsten Tag über Herztransplantationen. Da habe ich gedacht: Beim Sport kennst du dich aus. Ich habe seither nie das Gefühl gehabt, daß ich einen minderwertigen Job mache. Ich habe mich immer köstlich über Kollegen beim Sport amüsiert, die gesagt haben, daß sie was „Richtiges“ machen wollten.

Ich versuche als Live-Reporter, einem Optimum nachzulaufen. Ich will die Distanz zwischen dem Ereignis und dem Erlebnis im Wohnzimmer so gering halten, wie es nur geht. Dabei gibt es natürlich sehr schnell zwei Ansätze zu reportieren, den analytischen und den emotionalen. Wenn man das WM- Finale zwischen Brasilien und Italien nimmt, da sage ich dann auch, daß man dazu einen Trainerschein braucht. Aber ich kriege es hin, es ist das WM-Finale. Aber bei einem Europapokalspiel in Moskau wird das schwer. Es pißt ohne Ende, ist saukalt, und es sind nur 15.000 Zuschauer da. Ich gucke mich um und muß den Schalter fürs Adrenalin finden. Das ist jetzt richtige Arbeit. Wenn man ein tolles Spiel vor toller Kulisse erlebt, braucht man nur „ui, ui, ui“ zu machen, und hinterher sagen alle, daß es eine tolle Reportage war. Bayern München in der Champions League dagegen, das war teilweise höchste Arbeit.

Mein Sohn und ich, wir waren mal bei einem Spiel gegen Bayern in Kaiserslautern, zusammen mit einem alten Schulfreund von mir. Lautern verlor, und Augenthaler machte ein erbärmliches Tor. Beim Rausgehen unterhalten wir uns frustriert über die Niederlage, da sehe ich, wie meinem Sohn, der damals fünf oder sechs Jahre alt war, einfach so die Tränen runterlaufen. Und mein Freund sieht das und sagt: „Der hat's gut!“ Genau, denn mehr ist es nicht. Ich würde gerne lachen und gerne heulen können. Eine halbe Stunde lang, und dann ist es vorbei.

Wenn ich heute meinem Sohn beim Fußball zuschaue, bin ich danach emotional und physisch erschöpft. Da gehe ich so bekloppt mit, daß mein Sohn mir manchmal gesagt hat, daß ich ruhig sein soll. Meine Frau erinnert mich dann daran, daß ich beim Fernsehen bin und bittet mich, den Leuten dieses Spektakel zu ersparen. Da geht es nicht um die Champions League hier, ums Weiterkommen da oder die Trainerzukunft dort. Es geht nur darum: Gewinnen sie, oder verlieren sie? Das ist ganz simpel Fußball. Das ist einfach und nackt! Da gehe ich hin, dann gibt's den Anpfiff. Und nach dem Abpfiff gehe ich wieder weg. Dazwischen spielen sie Fußball.

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