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Unmoralische Fake-Inszenierung

■ betr.: „Otto-Suhr-Camp“ (Nor malzeit), taz vom 2. 9. 95

Sie können unmöglich die Vorträge der äußerst erfolgreichen Unternehmensberaterin Gertrud Höhler und die Reality-Inszenierungen der Gruppe „Story Dealers“ in einen Topf werfen. Nur letztere scheinen „Otto-Suhr- Camp“ zu sein: eine Berliner Kulturblüte um des Spaßes und der Lust am Veräppeln willen. Es stimmt, sie wurden dafür beauftragt und bezahlt – von der Hamburger Agentur SPMG (Stein Promotion Management Group), die für ihren Kunden Reemtsma („West“) tätig ist.

Zu deren Sensitivity-Training sollten die Berliner sich – durchaus im Sinne eines „Aufbrechens festgefahrener Kommunikationsstrukturen“ – ein Kunst-Event einfallen lassen.

Das geschah dann auch und brach auch vorübergehend etwas auf. Aber anschließend schrieb Reemtsma seinen „West“-Etat neu aus, was seit zehn Jahren nicht passiert war. So etwas kann man wohl kaum als „erfolgreich“ bezeichnen.

Um sich als Story-Dealer (Geschichten-Händler) zu halten, bedarf es einer genauen Analyse dessen, was die Kunden wollen und brauchen und wie man es ihnen beschaffen kann. „Dramatik ist der Brennstoff für das Erleben“, sagen die Story-Dealer. Für ihre Auftraggeber ist jedoch der Brennstoff der Story-Dealer das Geld, das sie ihnen für die Dramatik zahlen müssen. Und dafür muß es anschließend schon wirklich im Karton knistern. Sonst bleibt unterm Strich nur eins: solche Fake-Inszenierungen sind einfach unmoralisch. Da sind sich dann linke Pädagogen und rechte Geschäftsleute schnell einig. Hans-Herbert Baumgartner,

Hamburg

Das ist ja wohl wieder eine Riesensauerei, unter dieser eher von gutmütigem Humor getragenen Kunstgattung ausgerechnet eine derart menschenverachtende und zynische Karrieretruppe wie die „Story Dealers“ zu featuren. Nicht zufällig sollte bei der Premiere ihres Films, der sich mit Kinderschänderphantasien über Wasser haltende Dichter Droste eine Einführungsrede halten. Nur dem beherzten Zugriff einiger, ja: „Wildwasser-bewegter Frauen“ auf das S.O.36-Mikrophon ist es zu verdanken, daß der Haiku-Rambo aus Remscheid das Maul hielt. Sie haben recht, die „Story Dealers“ mißbrauchen keine Kinder mehr, dafür aber Frauen. Die mit „Feuer im Kopf“ derart belämmert wurden, von dem ganzen Männerenvironment um sie herum, daß sie sich auszogen und an der Abschluß- Performance mitwirkten.

Ihr humorloser Autor drehte das genau um: „Insbesondere die weiblichen Promotionsprofis brachten sich voll ein!“ Mit derartiger Ironie sollen aus Opfern dumpfe Mittäterinnen gemacht werden. Es hilft nichts: Das Schänden liegt den „Story Dealers“ im Blut! Sie können einfach keine ehrliche Kunst geradeaus machen, die Idee muß bei ihnen immer etwas Heimliches, Drahtzieherisches an sich haben, wenn man das abzieht, bleibt bloßer Kitsch, blödes Kunstgewolle über. [...] Sonja Wohlfahrdt

Eurem Mitarbeiter Helmut Höge ist bei seiner Charakterisierung des Story-Dealer-Films als „Otto-Suhr-Camp“ ein Fehler unterlaufen:

Die von ihm als „HDK-Professoren“ bezeichneten Dozenten unseres Fachbereichs haben zwar das „unsichtbare Theater“ als ein „antiaufklärerisches Projekt“ bezeichnet, mitnichten haben sie es damit jedoch in den Rang eines „Otto- Suhr-Camp“-Kunstwerks heben wollen. Im Gegenteil, zeichnet sich der an der HdK und nicht nur dort seit Jahren propagierte „Otto- Suhr-Camp“ doch gerade durch seinen „aufklärerischen“ „Approach“, um mit Höge zu sprechen, aus. Wenn zum Beispiel im „Friseur der Botschaft“ die „Künstler“ dort Herzschrittmacher im internationalen Vergleich präsentieren oder die seit vierzig Jahren quicklebendige Firma „IG Farben in Liquidation“ würdigen, dann ist das zum einen aufklärerisch par excellence und zum anderen genauso „camp“ wie, sagen wir, eine Rede von Charles de Gaulle, die von Schwulen goutiert wird: Während hier vom Politischen abstrahiert wird, sieht man dort von der Kunst (im engeren Sinne) ab. Man kann auch von einer Vermischung der Substanzen sprechen, wenn man von nichts absehen will.

Der Schwulen-Camp hat jedenfalls mit dem Otto-Suhr-Camp dies gemeinsam, daß er durch ein erneutes Hinschauen, Hinhören etwas Zusätzliches entbirgt. Nicht, daß der Kaiser nackt ist, sondern daß er Hosen von Peek & Cloppenburg trägt – zum Beispiel. Man kann diesen Surplus nennen wie man will, er ist auf keinen Fall antiaufklärerisch! Welser, Grübert, Michallek,

Piontek, Hochschule der

Künste, Fachbereich

Kommunikationsdesign und

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