■ Linsen Soufflé
: Überbezahlter Hofnarr gegen Mutter aller Terminatoren

Schweigend und mit gesenkten Häuptern zieht eine Gruppe schwarzgekleideter Bauern über die grünen Hügel, um an der Totenwache für ein junges Mitglied der Gemeinde teilzunehmen. Durch die Weizenfelder und Wiesen weht eine sanfte Brise. Pferdefuhrwerke durchkreuzen das Bild und überholen den Trauerzug, der sich über einen staubigen Pfad auf eine Ansammlung ärmlicher Bauerhäuser zubewegt. Mit einer raffinierten Verzögerung wird ein Untertitel eingeblendet: „Pennsylvania – 1984“. Na, welcher Film beginnt mit dieser sorgfältig inszenierten Choreographie? Genau, es ist Peter Weirs „Witness“ („Der einzige Zeuge“). Als der Film 1985 herauskam, war Weirs liebevolle Präsentation der Amish, jener Religionsgemeinschaft in den USA, die das seelenlose, materialistische Leben des 20. Jahrhunderts mit all seinen Errungenschaften verächtlich ablehnen, zwar auch ein Thema unter Filmfreaks, doch viel mehr interessierte sie der Hauptdarsteller. Weir hatte unbedingt Harrison Ford gewollt und bekommen. Das war ungewöhnlich, denn Ford war nach seinen „Star Wars“-Einsätzen und Indiana- Jones-Abenteuern längst als Comic-book-Hero abgestempelt worden. Doch Weir hatte Fords Potential erkannt, gab ihm die Chance und gewann. Ford natürlich auch. „Jetzt bekam ich meine ersten Kritiken als Schauspieler, obwohl ich bisher auch nie etwas anderes gemacht habe“, erinnert er sich. Außerdem bekam er noch eine Oscar-Nominierung für die Rolle des John Book. Mit „Witness“ wurde Ford ein echter Filmstar im altmodischen Sinn. Jetzt geht Peter Weir ein noch größeres Risiko ein und besetzt wieder gegen den Strich. Für „The Truman Show“ wurde für 12 Millionen Dollar Hollywoods überbezahlter Hofnarr Jim Carrey eingekauft. Carrey, bekannt für dumme und dümmere Filme, wird damit seine erste ernste Rolle spielen. Carrey ist nicht Ford, Carrey ist ein alberner Witz, der jede Comicfigur spielen kann. Er sollte uns also lieber den Pluto machen oder den „Spiderman“. „Die Spinne“ verspricht uns die Mutter aller Terminatoren, James Cameron, nun schon seit Jahren. Gleich nach dem mittelmäßigen „True Lies“ wollte er sie krabbeln lassen, noch 'ne Lüge. Statt dessen schrieb er für seine Exfrau Kathryn Bigelow das Drehbuch zu „Strange Days“ (Start in den USA: 13. Oktober) und produzierte auch. Der Film wird als „Cyber-Version eines klassischen Film noir“ angepriesen. Ralph Fiennes spielt im Los Angeles des Jahres 1999 den Ex- Cop Lenny Nero, der als Dealer von Cybersex-Disketten ein einträgliches Dasein fristet. Dann kommt irgendwie ein geisteskranker Killer ins Spiel, und Frau Bigelow darf jede Menge brutale Gewaltszenen drehen. Bigelow wieder mal im Blutrausch, doch „Blue Steel“ war Kinderkram gegen „Strange Days“. So weit, so schlecht. Aber jetzt wird Cameron sich doch wohl um die Spinne kümmern? Wird er nicht. Der Actionsregisseur hat gerade ein Team in die eisigen Gewässer von Nova Scotia zum Testdreh geschickt. Die Crew soll herausfinden ob die äußeren Umstände es zulassen, dort sein Projekt „Planet Ice“ zu verwirklichen. Sollten die Jungs mit Frostbeulen zurückkommen, will Cameron die Geschichte über ein russisches Arbeitsboot im ewigen Eis abblasen. Dann kommt „Spiderman“ – oder auch nicht. Karl Wegmann