: Russische Bäume hinter Glas
■ Thalia: Gastspiel des Maly Theaters mit „Der Kirschgarten“
Hinter Glas stehen die Kirschbäume. In mannshohen, über die Bühne verteilten Glasvitrinen. Ob sie da gut stehen, ist erst einmal nicht die Frage. Auf jeden Fall erscheinen sie mit Hilfe der Vitrinen in verschiedener Gestalt. Mal werden die Vitrinen nämlich von hinten beleuchtet, dann sehen sie wie Fenster zum Garten, zum Kirschgarten hin aus. Mal ist alles dunkel, und nur in den Vitrinen glimmt ein Licht und verwandelt die Bäume in einen kleinen Zauberwald. Die meiste Zeit über brennt dann doch die normale Bühnenbeleuchtung, und die Glasvitrinen sind nichts anderes als – Glasvitrinen in einem russischen Salon.
Mit diesem recht schönen, aber auch etwas engen, wandlungsfähigen, allerdings auch eindimensionalen (der Kirschgarten hinter Glas: Museum, Symbol!), vor allem aber mit diesem theaterwirksamen Bühnenbild führt das Maly Theater aus St. Petersburg seit Donnerstag in einem Gastspiel im Thalia-Theater Tschechows Kirschgarten auf. Und wie das Bühnenbild, so die Aufführung? Diese Überleitung wäre zu einfach. Aber aus dem Gerüst dieser Beschreibungen kommt die Aufführung nicht heraus: recht schön, etwas eng, höchstens theaterwirksam. Und das, obwohl das Maly Theater aufgrund seiner letztjährigen Hamburg-Visite mit vielen Vorschußlorbeeren antrat.
Aber wo bleibt der Taumel? Wem es gelungen war, seinen klaren Verstand zu trüben und von einem so guten und dann auch noch russischen Ensemble den echten, den einzig wahren, den authentischen Tschechow zu erwarten (kann's nicht geben, wissen wir, aber das mal beiseite), der wurde enttäuscht. Was bleibt, sind einzelne Momente. Und sonst sind die wahren Russen weiterhin in Wirklichkeit Berliner: Schauspieler der Berliner Schaubühne, mit denen der Regisseur Peter Stein in den 80er Jahren die Drei Schwestern und eben den Kirschgarten aufführte, ach was, ins Leben zurückholte, epiphanisierte.
Die schönen Momente der Maly-Theater-Aufführung: Der greise Diener Firs mümmelt vor sich hin (wie alle anderen auf russisch, deutsche Untertitel werden eingeblendet); das Zimmermädchen Dunjascha schäkert mit dem Pechvogel Jepichodow (weniger) und dem jungen Diener Jascha (mehr); der ewige Student Trofimow und die 17jährige Anja verlaufen sich im Wald (und für einen Moment auch in ihren Gefühlen). Schließlich das Ende des dritten Aktes, das sich in einen Totentanz hineinsteigert und alles vorherige zum bloßen Vorgeplänkel degradiert. Aber der Kirschgarten kann das Glas, das ihn umgibt, nicht sprengen; und so steht er in den Vitrinen recht dekorativ, wirklich gut steht er dort aber nicht. Dirk Knipphals
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen